Extraleben - Trilogie
kalkweiß, kann ich erkennen, als sich der Wortführer lässig an den Tresen lehnt.
»Also zweimal mit Schinken ...«, verkündet er fröhlich und etwas zu laut. Das sind so richtig gute Leute, kommen bestimmt gerade von irgendeiner »Montage«, they've got to install microwave ovens, oder so. Die Brötchen sind sicher schon ihr Mittagessen. Die haben zuhause bestimmt einen richtigen Esstisch und schaufeln sich nicht seit zwanzig Jahren ihren Fraß vor dem Fernseher runter. Ist aber nur eine Vermutung, denn so richtig normale Leute kennen wir ja nur aus der Ferne. Am Anfang sah es noch danach aus, als könnten wir auch bald dazugehören, zu den Werktätigen. Die Wendung war geradezu genial: Zwei abgebrochene Studis, die seit 1995 alle Updates verweigert haben, werden von der Datacorp engagiert, einem Megakonzern, der IT-Pflegefälle betreut. Ein großartiges, wenn auch leicht unverdientes Happy End, das unsere Helden für eine Mark da serviert bekommen haben. Beratervertrag, Obermittelklasse-Auto vom Fuhrpark-Service, Dienstrechner, alles von null auf hundert. Gestern noch abgehalfterte Computerkids, heute schon International Men of Mystery. Nick jubilierte. Er konnte es gar nicht abwarten, bis er sein erstes hellblaues Hemd - ohne Krawatte! - in die erste graue Flanellhose stecken konnte, um dann endlich so wie alle Kollegen bei der Datacorp auszusehen. Nicht, dass das irgendwo in unserem Vertrag gestanden hätte. Aber es gibt ja in jeder Firma diesen unausgesprochenen Dresscode, an den sich alle halten. Und geborene Mitläufer wie der Beifahrer können es natürlich überhaupt nicht abwarten, den Borg in die Arme zu fallen und sich assimilieren zu lassen. Bis vor ein paar Monaten der Scheiß anfing. Die Company, wie Nick sie immer nennt, veranstaltete auf einmal seltsame Sachen. Unsere Buden wurden verwanzt, unsere Rechner angezapft, am Schluss hielt uns irgendein Freak aus der Firma sogar seine Pistole an den Kopf. Major Tom hat die Sache später runtergespielt, so von wegen da sei wohl die »interne Konkurrenz« ein wenig aus dem Ruder gelaufen, und man habe sich längst von den »Troublemakern« getrennt. Doch eigentlich war spätestens da klar, dass der ganze Verein nicht koscher ist - John mal ausgenommen. Aber was sollten wir tun - den Betriebsrat anrufen? Ein völlig lächerlicher Gedanke, denn die Datacorp Ltd., die uns jeden Monat immer so brav unser Beraterhonorar überweist, ist völlig unfassbar. Außer Major Tom und zwei, drei subalternen Clowns wie Shaun kennen wir drinnen niemanden. Es gibt keine Telefonnummern, die man anrufen könnte, kein Verzeichnis der Niederlassungen, keinen Dienstweg. Okay, die Kohle kommt aus England, Andie von der Reiseabteilung arbeitet bei Jeppesen in Kalifornien, doch wo die Datacorp eigentlich sitzt, haben wir immer noch nicht raus gekriegt. Alles ist so hyperglobalisiert, so abgehoben, dass man das Gefühl hat, die Firma steht über allem. Auch über dem Gesetz. Selbst Nick musste irgendwann zugeben, dass mit seinem ach so tollen Brötchengeber was nicht stimmt. Seitdem brütet er ständig vor sich hin. Seine neueste Verschwörungstheorie ist, dass die Datacorp für die US-Regierung »dreckige Jobs« erledigt. Der diskrete Dienstleister für EDV-Notfälle, von denen die Öffentlichkeit besser nichts erfährt. Das klang ausnahmsweise mal plausibel. Andererseits kam diese Theorie von einem Mann, der denkt, dass in Roswell 1947 wirklich ein UFO abgestürzt ist - und zwar ein russisches, das von Kindern gesteuert wurde, die Adolf Mengele so umoperiert hat, dass sie wie Aliens aussahen. Zumindest war das sein Wissensstand letzte Woche.
#10 T-8: 01:15
Um zu unserem Büro zu kommen, muss man erst mal auf einer Privatstraße um das ganze Lagerhaus rumfahren, und als die angelegt wurde, war das breiteste Auto anscheinend ein VW Variant. Jedenfalls bleiben einem auf den letzten Metern zwischen Außenspiegeln und Backsteinmauer vielleicht zwanzig Zentimeter übrig. Dass Nick an dieser Stelle noch keinen Spiegel abgehobelt hat, grenzt an ein Wunder. Um ihm nicht zuvorzukommen, zirkele ich den Dienstwagen im Schritttempo zum Hinterhof rein. Durch das offene Fenster ist das leise Knuspern von ein paar Steinchen zu hören, die im Reifenprofil stecken geblieben sind. Es muss schon den ganzen Vormittag lang Freibadwetter gewesen sein, denn vom Regen der letzten Nacht sind nur noch staubige Umrisse auf dem Asphalt übrig. Auf dem Gelände hätten wir als Jungs früher unseren Spaß
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