Extraleben - Trilogie
komisch, dass er seinen Dienstrechner auf dem Sperrmüll-Sessel hat liegen lassen. Auf dem Möbelmonster mit abgewetztem Samtbezug würde er sich immer »exzellent entspannen«, meint Nick. Auf gut Deutsch: Er pennt in dem Sessel, er ist sein Ersatzbett. In seinem Dienstrechner jetzt rumzufuhrwerken wäre reine Zeitverschwendung. Es gibt nur einen Menschen, der dieser Kiste auch nur ein Byte entlocken kann, und das ist Nick selbst. Zum einen, weil er die »andere Seite«, wie er sie nennt, gut genug kennt, um alles »bullet proof« , also kugelsicher, zu machen. Zum anderen, weil ich nicht mal theoretisch in der Lage wäre, den Rechner überhaupt zu starten. Nick gehört nämlich zu den Menschen, deren Ziel im Leben es ist, einen maximal benutzerunfreundlichen Rechner zu besitzen. Vor ein paar Wochen hat er das letzte GUI von der Kiste runtergeworfen, seitdem gibt es keine Fenster mehr, keine Icons und keine Maus, die eine normale Bedienung ermöglicht hätten. Nein, jetzt läuft alles über eine Kommandozeile. Selbst um seine Nachrichten zu lesen, muss er jetzt total unverständliche Textbefehle eintippen. Egal, ich kann die Kiste ja trotzdem mitnehmen. Wo ist eigentlich das Tape? Ich checke Dörte und wühle den Müll auf dem Tapeziertisch beiseite. Nichts. Obwohl er seinen Rechner hier gelassen hat, scheint er das Datentape mitgenommen zu haben, dabei kann er damit zuhause überhaupt nichts anfangen! Die passende alte Tandberg-Maschine zum Abspielen steht ja hier im Regal. Andererseits ganz praktisch, denn wenn er das Tape mitgenommen hat, muss ich es nicht nochmals anfassen. Diese Blutfleckengeschichte steckt irgendwie immer noch im System. Doch die Krönung von all den Seltsamkeiten ist: Warum hat er -der Penible - nicht abgeschlossen? Shit, das sieht nicht gut aus. Ich knalle die Tür, sperre ab und renne zurück zum Wagen. Schnell, das Telefon. Er muss einfach bei Sabina sein. Oder sie haben ihn entführt.
#11 T-7: 21:31
Dass ihr Mann verschwunden ist, hat sie ganz gut aufgenommen.
»Ach, weißt du, das wird wieder so sein wie letztes Mal«, meinte Sabina nur und klang dabei wie jemand, der sich mit dem Alleinsein abgefunden hat. Die Frau eines Managers ist halt eine Witwe, deren Mann noch lebt. Haha.
»Ja, denke ich auch«, log ich knallhart, dann plätscherte das Gespräch seinem verdienten Ende entgegen. Mit »letztes Mal« meinte sie den Großalarm vor ein paar Monaten. Da hat die Datacorp Nick auch mitten in der Nacht rausgeklingelt und er ließ dann tagelang nichts mehr von sich hören. Offiziell war der Einsatz mal wieder streng vertraulich. Dabei brauchte man nur CNN einzuschalten, um zu ahnen, wo Nick gerade war - nämlich im schönen Wyoming. Auf einer Luftwaffenbasis da oben war den Amis echt ein grober Schnitzer passiert: Die konnten -einfach gesagt - ihre Atomraketen nicht mehr erreichen. Hätte im Bunker in diesem Moment jemand den Roten Knopf gedrückt, wäre nichts passiert. Die USA standen mit runtergelassener thermonuklearer Hose da. Alarmstufe Rot. Schuld war natürlich die antiquierte Raketentechnik. Eine Menge von dem Zeug stammt aus den Sechzigern, und es ist bekannt, dass an einigen Stellen noch Floppy Disks rumgereicht werden.
»Update« ist auf den Atombasen ein böses Wort, weil das die 100-prozentige Einsatzfähigkeit bedrohen würde. Die Weisheit Never change a running system hat bei denen den Rang einer Religion - eine der wenigen Religionen übrigens, für die wir uns erwärmen können. Wie dem auch sei: In den Atomwaffenbunkern kassiert der Kantinenkoch schon eine Abmahnung, wenn das Verfallsdatum auf dem Hühnchensalat abgelaufen ist. Gut vorstellbar, was abging, als die Atomraketen einfach offline waren. Nick kam nach einer Woche total durch den Wolf gedreht zurück. Doch die ganze Aktion fühlte sich völlig anders an. Das war ein Großeinsatz, da brummte die Bude, das hat man selbst als Unbeteiligter mitgekriegt. Diesmal läuft alles viel stiller ab. Und selbst wenn sie Nick wieder abgeholt haben - er hätte vorher das Büro abgeschlossen, egal, ob der Dritte Weltkrieg gleich ausbricht oder nicht. Immerhin bleibt ihm die Hitze hier erspart, damit kommt er ohnehin nicht gut klar. Ich habe alle Jalousien zugedreht und schaue zu, wie die Nachmittagssonne durch die Spalten kleine Laserstrahlen in meine Bude schießt. Fehlt nur noch eine Frau, die sich mit knallrotem Lippenstift davorstellt, und schon wäre das Poster von Patrick Nagel komplett. Stattdessen legen sich die
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