Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
Vom Netzwerk:
vermieten«-Schild im Fenster, eingetaucht in niemals endenden Regen. Gleich könnte John le Carre aus dem Haupteingang kommen, sich mit hochgeschlagenem Kragen eine Zigarette anzünden und lostraben, um für den Geheimdienst Ihrer Majestät irgendeine miese Sache zu erledigen. Eigentlich könnte Nick an keinem besseren Ort wohnen. Ehemalistan ist ein kleines, beschauliches Stückchen vom 20. Jahrhundert, mitten in einer völlig unübersichtlich gewordenen Welt, in der mongolische Neonazis gegen chinesische Ölfirmen kämpfen oder so. Wer sich im Jetzt nicht so wohlfühlt, ist hier gut aufgehoben. Wir leben in der Prozac-Provinz - einerseits wirkt sie beruhigend, andererseits kriegt man kaum was davon mit, was um einen herum so passiert. Das Telefon klingelt, BigSis ist dran.
    »Hast Glück gehabt, es war noch jemand im Büro«, verkündet sie leicht außer Atem, »ich sims dir die Nummer gleich.«
    Mütter erkennt man daran, dass ihre Klamotten und ihre Informationstechnik immer noch aus der Zeit vor dem ersten Kind stammen.
    »Cool. danke! «, sage ich extra laut und deutlich. Das Gebrüll im Hintergrund ist leiser geworden; vermutlich hat sie die Kinder mit dem Fernseher sediert, um die Nachricht tippen zu können. Sie fuhrwerkt irgendwas am Hörer rum.
    »Äh, weißt du jetzt schon, ob du Sonntag kommst?«
    »Warum nicht?«
    Eine bequeme Lüge. Dabei ist ziemlich klar, dass ich am Sonntag mit ihr und Mutter keinen Kuchen essen werde. Hinter welchem Fenster könnte Nick sitzen? Ach stimmt - der Raum hatte ja gar keine Fenster, aber vielleicht geht ja einer der Nebenräume nach vorne zur Straße raus, vielleicht hat er mich ja schon im Wagen gesehen und bereitet seinen Abflug vor. Ehemalistan ist schon ins Bett gegangen. Auf den breiten Alleen, die für das Verkehrsaufkommen eines geopolitisch wichtigen Zentrums ausgelegt sind, kriechen nur noch ein paar vereinzelte Papis Richtung Eigenheim, die mit ihren Kollegen einen trinken waren. Auch die Botschaft liegt im Koma: Bis auf das fahle Glimmen von Neonröhren in einigen Fenstern ist der Häuserblock völlig ausgestorben. Zwischen all den Villen mit ihren sorgfältig gestutzten Buchsbaumhecken wirken die Gebäude wie abstoßende Fremdkörper, so, als hätte sie jemand wahllos aus einem Flugzeug abgeworfen. Genau diese Art von Nachkriegsklotz macht einem immer Gänsehaut. Denn genau in dieser Art von Gebäude haben die Kinder der Achtziger meist Scheiße erlebt. Beim einen war es die TÜV-Prüfstelle, beim anderen das Kreiswehrersatzamt oder das Sekretariat des Schulrektors - all diese Schicksalsorte waren damals in Bunkern aus den Fünfzigern oder Sechzigern untergebracht. Die konnte man schon am Eingang erkennen: An der Tür war immer so ein Messinggriff mit schwarzem Plastik angebracht, der aussah, als ob jemand Lakritz drumgewickelt hätte. Wenn du den mit schweißnassen Händen nach vorne geschoben hast, wusstest du: Gleich geht's ans Eingemachte, gleich haben sie dich am Sack. Vor allem beim Kreiswehrersatzamt. Ich lasse den Wagen langsam ausrollen, um möglichst viele Details aufzusaugen. Gegenüber der Botschaft schmiegt sich ein kleines Lädchen an den Bürgersteig. Blumen steht in nazimäßiger Frakturschrift auf der Fassade. Am Giebeldach hängt eine schmiedeeiserne Laterne. Herr le Carre, der Strauß für Ihre Frau ist fertig. Obwohl in der Botschaft seit Jahrzehnten keine Staatsangelegenheiten mehr abgewickelt werden, wirkt sie immer noch wie eine Festung. Achtung, Sie verlassen West-Berlin! Der Zaun besteht aus dicken Stahlstangen und sieht nach militärischem Sperrgebiet aus. Oben sind so spitze Zacken drauf, die jedem, der rüberklettern will, die Gedärme rausreißen und ... Shit! Überall, wo das Grundstück eine Biegung macht, sind auf der Zaunkrone Kameras installiert, also bloß nicht zu langsam werden. Die Hauptpforte kommt näher. Sieht alles ziemlich fertig aus: Gleich vorne an der Straße steht ein kleines Häuschen, bei dem alle Scheiben eingeschlagen sind; hinter den leeren Fensterrahmen hängen die Reste von Jalousien. Neben dem Kabuff haben sie eine kleine Schleuse eingebaut, durch die sich die Besucher quetschen müssen, natürlich gesichert mit Ganzkörperdrehkreuz, damit immer nur einer auf einmal reinpasst. Wie hochgerüstet der Scheiß wohl heute wäre, nach 9/11? Da! Das ist es - diese kleine Säule direkt neben der Besucherschleuse. Da steckt das Zugangssystem drin. Es ist ein viereckiger schlanker Klotz, vielleicht einsfünfzig

Weitere Kostenlose Bücher