Extraleben - Trilogie
die wir ständig zugeschickt kriegen, damit wir sie durchackern. Und da der Stoff zur Abwechslung ansatzweise macgyveresque war, habe ich das sogar getan. Das wichtigste Einbruchswerkzeug liegt schon auf dem Rücksitz unseres Dienstwagens: mein steinaltes Powerbook mit Handymodem, dazu der obligatorische Leatherman und ein paar Drähte, falls Hardwarebasteleien in der Botschaft nötig sind. Hoffentlich sind sie nicht nötig, weil das hieße, gegen das Gesetz zu verstoßen, und das tun wir grundsätzlich nicht gerne. Nur eine Information fehlt noch, ohne die ich Nick nicht aus seinem Gefängnis befreien kann: die alte Telefonnummer der Botschaft. Die hat die Company nämlich garantiert aus dem Telefonbuch löschen lassen, nachdem sie da eingezogen ist. Eine Datacorp kann man eben nicht einfach so anrufen. Aber vielleicht gibt es eine Lösung. Ich wähle die Nummer meiner Schwester und stelle auf laut. Klack, Todesschreie gellen durch den Wagen, dann ein gehetztes »Ja?«
»Hi, ich bin's ...«
»Hi«, kläfft sie zurück, »rufst du wegen Sonntag an?«
Im Hintergrund zerfleischen sich Itchy und Scratchy mal wieder, es ist kurz vor sechs, Unhappy Hour für alle Mütter, kein guter Zeitpunkt für ein Telefonat. Warum kann man eigentlich nirgendwo mehr anrufen, ohne sich diesen Zombiefilm-Soundtrack im Hintergrund geben zu müssen? Ich muss mich also riiiichtig kurzfassen.
»Sag mal: Ihr hattet doch in der Firma immer diese alten Telefonbücher, oder?«
Bevor sie in die Produktion kleiner Zombies eingestiegen ist, hat BigSis bei einem Erben-Ermittler gearbeitet. Das ist so eine Art Detektei, die raus findet, wer die Kohle kriegt, wenn eine reiche Tante in Amerika stirbt, die keine Ahnung hat, wo ihre Verwandten in Deutschland leben. Für den Laden hat BigSis immer irgendwelchen Jurascheiß erledigt. Früher auf der Uni, da gehörte sie echt zu den Spitzen-Jura-Babes - sofern man das als Bruder überhaupt beurteilen kann. Sie ist halt dieser Lufthansa-Typ, auf den neunzig Prozent der deutschen Männer stehen, Nick eingeschlossen: groß, schlank, blond. Die ganzen alten Assistenten haben ihr hinterhergehechelt, wenn sie mit Pumps, Blüschen und Perlenkette durchs Seminar trippelte; heute trägt sie Cargohosen und ausgelatschte Crocs. So richtig dicke waren wir eigentlich nie, aber in letzter Zeit schleicht sich auch in unsere Beziehung so eine Altersmilde ein. Ich helfe ihr sogar, wenn sie irgendwelchen Ärger mit ihrem PC hat. Ich bin quasi der Sis-Admin. Eigentlich ganz nett.
»Klar, die haben von allen großen Städten die Telefonbücher da, bis anno 1900, glaube ich«, keucht sie. Kurze Pause, sie scheint auf die Uhr zu gucken.
»Was brauchst du? Wenn ich gleich anrufe, ist noch jemand da.«
»Die Nummer der Ami-Botschaft - von 1989!«
BigSis lacht.
»Sag nichts - Nick hat was damit zu tun. Richt' ihm mal aus, dass die Achtziger vorbei sind.«
»Mach ich ständig, aber er will nicht auf mich hören!«
»Okay, ich frag mal nach. Ruf dich gleich wieder zurück.«
Und da hat sie auch schon aufgelegt. Ich drehe den Zündschlüssel um. Das Projekt missing in action kann starten, ich bin gleich da, Alter. Um zur Botschaft zu kommen, muss man einmal quer durch Ehemalistan fahren. Also erst mal rauf auf die vierspurige Straße, wo sich die Diplomaten-Kids seinerzeit heiße Ampelrennen mit den Wagen ihrer Papis geliefert haben. Richtig mutig war das nicht, schließlich pappte auf ihren Karren hinten der »CD«-Aufkleber, und das bedeutete, die Bullen durften nur brüllen, aber nicht beißen. Heute muss niemand mehr befürchten, dass ihn ein schwarzes Diplomatengeschoss rechts überholt oder von hinten plötzlich ein gigantischer Tross Staatskarossen angerauscht kommt, abgeschirmt von Dutzenden Motorradpolizisten, den weißen Mäusen, denen man als kleiner Junge immer staunend hinterhergestarrt hat. Heute fahren alle brav Tempo 70, sodass einem keine Wahl bleibt, als die Vergangenheit in all ihren grässlichen Details in Augenschein zu nehmen. Durch Ehemalistan zu fahren ist Archäologie in Echtzeit: Erst kommt das Haus, in dem mal die Sowieso-Behörde saß, dahinter türmt sich dieses ehemalige arabische Konsulat auf, das immer aussieht, als hätte man die Badezimmerfliesen außen angebracht, dann biegt man an der Ecke ein, wo das Gebäude des früheren Was-auch-immer-Ministeriums vergammelt. Graue Protzbauten aus den Fünfzigern scrollen am Seitenfenster vorbei, alle mit dem obligatorischen »Büroflächen zu
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