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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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dass es Zeit ist, aus dem aufgelösten Frauchen wieder die beherrschte Sabina zu machen. Sie räuspert sich.
    »Hast du schon was von Nick gehört?«
    Was soll ich dir sagen? Dass ich genau jetzt auf ein Videostandbild gucke, auf dem er zu sehen ist? Also bleibt mir nicht anderes übrig, als weiterzulügen.
    »Äh, nein. Aber es wird alles sein wie beim letzten Mal ...«
    »... beim letzten Mal hat er wenigstens angerufen«, fährt Sabina ungeduldig dazwischen. Oh, oh, die besorgte Ehefrau mutiert zur wütenden Furie. Nicht gut, ich muss sie beruhigen.
    »Aber du weißt doch: Manche Jobs bei der Company ... Da geht's halt echt um so Geheimzeugs, da kann man nicht einfach ... « »Du hast recht«, unterbricht sie wieder. Sie klingt, als ob sie sich gefangen hätte. Mensch Mädchen, ich würde dir ja liebend gerne sagen, wo sich Nickybaby aufhält, aber dafür musst du mich diese verdammten Videoframes jetzt auszählen lassen!
    »Du hast recht«, sagt sie und lacht ein wenig gekünstelt.
    »Ruf halt einfach an, wenn du was Neues hörst.«
    »Werde ich machen - versprochen.«
    »Danke.«
    Ich lege auf und schaue raus. Mittlerweile hat es angefangen zu Gewittern. Die ersten Tropfen sind so groß, dass sie richtig Blasen auf dem Boden werfen. Durch das gekippte Balkonfenster zieht der schönste Geruch der Welt rein: Regen auf Asphalt nach einem langen Sommertag. Und so, wie es aussieht, wird er wirklich lang. Der Nickmeister hat also klammheimlich eine Nachricht an mich abgesetzt. In seiner unendlichen Genialität hat er den Rechner, vor den ihn die Idioten gesetzt haben, so programmiert, dass er auf den Monitor abwechselnd dunkle und helle Flächen projiziert. Hell steht für »1«, dunkel für »0«.Ihm war klar, dass der helle Bildschirm auf seine Klamotten abstrahlen würde, als ob man mit einer Taschenlampe draufleuchtet. Und genau dieses Geflacker hat auch die Überwachungskamera gefilmt. Ich muss also nur das Video Standbild für Standbild durchgucken, und schauen, wo Nicks Hemd hell aussah und wo nicht. Dann habe ich die Nullen und Einsen zusammen, die Bits, aus denen die Botschaft besteht. Vater hätte in dieser Lage wahrscheinlich Morsezeichen verwendet, der alte Pfadfinder. Aber wir sind nicht bei Fähnlein Fieselschweif groß geworden, sondern vor dem Commodore 64, und wenn es so was wie den Code unserer Generation gibt, dann ist es sicher nicht der von Herrn Morse, sondern ASCII, der American Standard Code for Information Interchange. Er stand ganz hinten in der Cevi-Bedienungsanleitung, und die Seite war vom ständigen Nachgucken irgendwann so abgewetzt, dass Nick durchsichtige Buchfolie drübergeklebt hat, damit sie nicht zerreißt. Wer wollte, dass die Maschine normale Buchstaben auf den Bildschirm zaubert, kam nicht drum herum, früher oder später ASCII zu lernen. Für ein »A« zum Beispiel mussten die Bits 01000001 in den Speicher gepoket werden. So funktionierte ASCII. Und genau in dieser Lingua franca hat Nick seine Botschaft codiert. Also los: Video auf Anfang setzen und Start. Ich suche mir einen Punkt auf der Vorderseite seines Hemdes raus und drücke auf das erste Videobild. Der Stoff wirkt dunkel, in dieser halben Sekunde muss der Monitor schwarz gewesen sein. Also der nächste Frame. Plötzlich leuchten die Falten neben der Knopfleiste so hell, als hätte jemand in diesem Moment ein Foto mit Blitz gemacht. Bingo - eine »1«, das erste Bit. Jetzt geht's los. Sofort fängt die Lernkurve an. Schon nach drei weiteren Bits hat das Hirn auf Fließbandproduktion umgeschaltet. Ich drücke mit der linken Hand auf die Leertaste, um das nächste Videobild aufzurufen, mit rechts schreibe ich , »0« oder »1« auf, je nachdem, ob sein Hemd hell oder dunkel wirkt. Ich benutze den Kuli, den wir auf der Klassenfahrt nach Berlin gekauft haben, '88 oder so. So ein schrecklicher hellblauer Souvenirstift, in dem ein Mini-Doppeldeckerbus aus Plastik schwimmt, der in Zeitlupe hin-und herfährt, wenn man den Kuli kippt. Entweder er fährt zur einen Seite, wo der Funkturm steht, oder zur anderen mit dem Brandenburger Tor. Da stoppt der Bus dann vor einem Mini-Plakat mit der Aufschrift »Achtung! Sie verlassen den amerikanischen Sektor«.
    Ah, Westalgie. Die ersten sechzehn Bit sind geschafft: 10101010 10100110, langsam füllt sich der Notizzettel. Und, Nick? Schauen wir nach, für welche Buchstaben sie stehen? Machen wir natürlich nicht, niemals! Stattdessen würde der Beifahrer das Video bis zum letzten Frame

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