Extraleben - Trilogie
mit der Poppersache Recht, aber ich schaff's halt nicht, bei H&M irgendwelches schwarzes Zeugs zu kaufen, mit dem man wie Neo aus »Matrix« aussieht. Und so bleibe ich bei den Ralph-Lauren-Hemden und Chinos - dem Kram eben, den man an der volkswirtschaftlichen Fakultät Mitte der Neunziger anhatte. Immerhin habe ich es geschafft, meine Barbourjacke kurz vor der Jahrtausendwende in die CDU-Kleiderstube zu bringen. Nachdem wir die Maschinen angeworfen haben, bauen wir die verbleibenden Vierteldollarmünzen auf der zerkratzten Scheibe des Shinobi auf. Drei Jahrzehnte Chlordämpfe und Missbrauch haben die Mutter aller Ninja-Sidescroller schwer gezeichnet: An allen Ecken des Gehäuses schaut blankes Holz unter dem Lack hervor, und den Two-Player -Knopf hat jemand mit einer Kippe zu einem braunen Knüddelchen zusammengeschmolzen. Egal. Kurzer Joystick-Check, alle Richtungen gehen noch. Start, ein weiterer Nostalgie-Trip kann beginnen. Schon beim ersten Gegner fällt uns wieder ein, warum wir das Spiel schon damals irgendwie peinlich fanden.
»Geil, die Lederwesten der Punks: mit Schulterklappen drauf«, lacht Nick, während er weiter routiniert die Wurfsterne raushaut, »die sehen original aus, wie Opa sich 1986 einen Punk vorgestellt hat. Irgendwie Mad Max -artig«.
Mir fällt vor allem auf, wie lax die Programmierer seinerzeit mit dem Copyright umgegangen sind. An jedem zweiten Haus sind schamlos Plakate mit Warhols Marilyn aufgehängt, und schon im zweiten Level seilt sich kein Geringerer als Spiderman von einer Wand ab. Wie schnell hätte Sega dafür heute bitteschön einen Prozess am Hals? Die ersten drei Level hat Nick noch erstaunlich gut drauf, doch beim ersten Boss fordern die Jahre ihren Tribut. Schon nach einer Sekunde feuert er vor lauter Angst die Superwaffe ab, nach zwei Sekunden hat ihn die erste Feuerkugel erwischt. Ich schubse meinen Kumpel nach guter alter Sitte vom Joystick weg und fange an. Mission 1. Einige japanische Schriftzeichen kleckern in Zeitlupe auf den Schirm. Warum schreiben Programmierer immer wieder Screens, die man sich sofort wegdrücken kann? Obwohl ich ja schon eine Runde lang zugucken konnte, schlage ich mich nicht besser. Auch bei mir ist beim ersten Boss Schluss. Nach einigem Hin und Her erreichen wir dann doch noch den Bonuslevel, halten ihn aber ebenfalls nicht durch.
»Oh Mann«, stöhnt Nick, »den haben wir damals immer geschafft«.
Schließlich geht es ans Highscore-Eintragen, wir dürfen uns mit den berühmten drei Buchstaben verewigen. Seelenruhig rührt Nick mit dem Joystick rum. S. Tick, tick, tick nach oben. E. Tick, tick, tick nach unten. X. SEX, der Klassiker, herrlich infantil. Wir müssen beide lachen und wenden uns - jetzt, wo wir festgestellt haben, dass es mit dem Spielen selbst nicht mehr so toll ist - dem Reden über das Spielen zu.
»Wusstest du, dass es bei den russischen Arcade-Automaten zwar Freispiele, aber keine Highscore-Tabelle gab?«, eröffnet Nick. Ich wusste gar nicht, dass die überhaupt Videospiele hatten, tue aber sehr wissend.
»Klar, die hatten's ja nicht so mit Wettbewerb. Mich hat der Highscore aber auch nie so richtig interessiert.«
»Stimmt. Das war irgendwie eine Eltern-Idee, um Punkte zu spielen, mehr was für die Generation Flipper«, stimmt Nick ein, während er in Zeitlupe zum Süßwarenautomaten neben der Tür schlendert. Da es sonst nichts zu tun gibt, trotte ich hinter ihm her und spinne den Gedanken weiter.
»Richtig, eigentlich ging's nur darum, das Game durchzuspielen.«
Nick kramt aus seiner Tasche ein paar letzte Quarter raus, wirft sie ein und drückt ein paar Tasten. Mit einem lauten »Kloink« scheppert eine Packung Reese's Pieces in den Ausgabeschlitz. Er popelt die Packung raus, reißt sie sofort auf und lässt die Schokolinsen in den Mund purzeln. Mein Magen knurrt. Nachdem die ersten Zuckermoleküle in seiner Blutbahn angekommen sind, redet mein Beifahrer direkt schneller: »Korrekt. Und was man einmal durchgespielt hatte, war uninteressant. In der zweiten Runde haben sie die Gegner eh nur schneller gemacht.«
Wir rücken uns zwei Monoblocs direkt vor das Schaufenster und beobachten, wie sich der Nebel über Twin Peaks, Twin Oaks oder Twin-was-auch-immer lichtet und das Dorf aufwacht. Jetzt, wo man in den Wald hineinsehen kann, wirkt er kaum noch bedrohlich. Ein einsamer Milchlaster, das erste Auto an diesem Morgen, rumpelt den Highway runter. An seiner Stoßstange klebt ein dunkelblauer Crown Victoria, der
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