Extraleben - Trilogie
vor der Einfahrt knallrot angemalt. Eine Firmenzentrale gleicht der nächsten.
»Wow, jetzt ist das Mittelmaß aber voll«, gähnt Nick, während wir uns durch den Berufsverkehr quälen. Ich muss zugeben, dass es nicht danach aussieht, als würde unsere Odyssee einem dramatischen Höhepunkt entgegensteuern - eher einem Caffè Latte bei Starbucks. Dafür geht schon die Suche zu schnell: In Legenden müssen die Helden immer ein halbes Leben suchen, um den Heiligen Gral zu finden, wir brauchen gerade mal fünf Minuten, um vom Highway 101zu unserem Ziel zu kommen. Dann stehen wir vor dem mythischen Platz unserer Träume, der Hausnummer 157 West auf der El-Camino-Real-Straße, der Adresse von Andy Capp's Bar. Schon als wir auf den Parkplatz vor dem Haus einbiegen, wird klar, dass wir wieder eine Niete gezogen haben. Statt vor einer verlassenen Spelunke stehen wir vor einem adretten Flachbau, über dessen Fenstern blaue Markisen heraus gekurbelt wurden. Er beheimatet einen Comedyclub namens Rooster T.Feathers, was übersetzt - brüllend komisch - Gockel T. Feder heißt. Und das, so verkündet ein Schild im Fenster, schon seit 1980. Das heißt, selbst wenn wir an jenem Tag hierhergekommen wären, als Mike Krüger mit »Der Nippel«
Nummer eins in den deutschen Charts war, hätten wir bei Andy Capp's vor verschlossenen Türen gestanden. Nick macht den Motor aus, und wir starren erst mal eine Minute wortlos zur Windschutzscheibe raus. Dann schwingt er sich laut stöhnend aus der Fahrertür, wie jemand, der vom Telefon aus seinem Mittagsschlaf gerissen wird. Auf einmal kommt mir unsere Reise noch sinnloser vor als ohnehin schon. Ich finde, das kalifornische Wetter hätte uns wenigstens ein paar dramatische Sturmwolken bescheren können, um dieser Szene etwas mehr Hollywood zu geben, für ein schönes Bild vor der Abblende: Kameraflug über dem Parkplatz, wir hocken auf dem Randstein, während die ersten Regentropfen an uns vorbeirasen und auf dem Asphalt zerplatzen, in Zeitlupe natürlich. Aber nein, stattdessen knallt die bescheuerte Ach-so-sunny-Sunnyvale-Sonne auf unsere Köpfe runter, und den einzigen Soundtrack liefert unser Entmündigungsmobil, das mit einem monotonen Ding-Ding-Ding vor der geöffneten Autotür warnt. Für ein paar Momente sieht es aus, als sei selbst Nicks unerschöpfliches Reservoir an Optimismus aufgebraucht. Er schaut mich an wie ein Roboter, der auf seine nächste Eingabe wartet. Ich versuche mich an einer nüchternen Analyse: »Also, in der Botschaft stand ja nichts davon, dass wir die exakte Adresse des ersten Quarter aufsuchen sollen, richtig?«
Schon während ich spreche, geht mein eigener Bullshit-Alarm los. Mann, ich versuche doch bloß, der Sache einen würdigen Abschluss zu geben. Nick hört ohnehin nicht mehr zu. Er hat sich an die Fahrertür gelehnt, mit dem Rücken zum Geburtsort der Videospielkultur, und starrt hinaus auf die vierspurige Straße. Plötzlich reißt er die Augen auf.
»Alter!«
Ich drehe mich um, und dann sehe ich es auch: DATACORP. Die armhohen Messingbuchstaben glänzen in der Sonne, direkt auf dem Bürohaus gegenüber. Mit der serifenlosen Schrift erinnert das Logo an Firmen-Embleme aus den Achtzigerjahren, als Konzerne noch Namen trugen wie GloboTech Industries, World Economic Consortium oder United Amalgamated Conglomerated Holdings. Unfassbar. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, rennen wir auf die Straße zu. Noch im Laufen frage ich mich, ob wir nicht vielleicht besser ein Sakko aus dem Koffer holen sollten. Wie überflüssig das wäre, merken wir schon, nachdem wir zwei der vier Fahrspuren überquert haben und auf dem schmalen Mittelstreifen balancieren. In der Lobby des zweistöckigen Glaspalastes ist absolut nichts zu erkennen - weder Möbel noch Menschen. Von außen erinnert das Büro an ein bankrottes Autohaus oder die Lobby der Nakatomi Towers, kurz vor zwei Uhr nachts, bevor John McClane zum Aufräumen kommt. Wir treten von einem Bein auf das andere, bis sich eine Lücke im Verkehr auftut. Wenn jetzt ein Cop vorbeikommt, müssen wir bestimmt Strafe für unerlaubtes Überqueren zahlen - das gibt's in Kalifornien echt. Ein Bus mit vietnamesischer Werbung donnert vorbei, dann ist die Straße frei. Jetzt! Mit einem Sprung erreichen wir den Bürgersteig, rennen weiter. Um nicht wie ein Überfallkommando zu wirken, bremsen wir kurz vor dem Eingang zur Lobby ab und schlendern keuchend weiter. Surr, die automatische Tür geht auf. Wir setzen einen Schritt über
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