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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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nervös versucht, links auszuscheren. Ein Modell aus den Neunzigern, die letzte Generation von Limousinen, bevor die Geländewagen alles andere platt gemacht haben. Die Scheiben des Wagens sind getönt, nur durch die Windschutzscheibe kann man kurz die Insassen erkennen: zwei Männer mit Sonnenbrillen und hellblauen Hemden. Sollten die einfach nur das Auto gewechselt haben? Da selbst Nick den Wagen nicht zu bemerken scheint, schiebe ich den Gedanken, dass wir oberserviert werden, beiseite. Absurd, ich werde langsam wie Nick. Für den Rest des Tages habe ich »Falling« von Julee Cruise im Kopf, die Titelmusik aus »Twin Peaks«.

LEVEL 16
    Irgendwann kommt auf jeder unser Forschungsreisen der Punkt, an dem man keinen weiteren Umweg über Montana, Idaho oder Oregon mehr fahren kann, an dem man sich eingestehen muss, dass in ein paar kurzen Tagen der Rückflug von L.A. geht und man besser Gas gibt, um ihn noch zu erreichen. Es ist ein schicksalhafter Point of no return, wie eine Passage über den Hades. Denn an diesem Punkt müssen wir tun, wovor es uns jedes Jahr aufs Neue graut: Wir müssen endgültig nach Kalifornien rein. Aber was soll's: Andy Capp's Taverne wartet, die Wiege der Videospielkultur, womöglich das geheime Hauptquartier der Datacorp. Wie jedes Jahr überfordert uns Kalifornien. Das fängt schon mit diesen lächerlichen Grenzposten an: Entlang der Staatsgrenze stehen nämlich Häuschen, an denen Studenten jedes Auto kontrollieren und fragen, ob man Obst und Gemüse im Wagen hat. Wir sagen brav »No« und werden durchgewunken. Angeblich will Kalifornien damit irgendwelche gefährlichen Fruchtfliegen draußen halten. Mit solchen Schikanen geht es weiter: Speedlimit wieder runter auf 55 Meilen, nur noch Papiertüten im Supermarkt. Es ist, als ob jemand einen großen Schalter umgelegt hat, der das alte Amerika wegzaubert und durch eine mit Solarstrom betriebene, fahrradfreundliche, ein wenig zu ordentliche Version ersetzt. Kalifornien ist das Amerika, in dem die Leute in Cafés auf dem Bürgersteig sitzen und einen Cab Sav - einen Cabernet Sauvignon - bestellen. Es ist ein Amerika, das ernsthaft mit öffentlichem Nahverkehr liebäugelt und wo man sein Hybridauto von der Steuer absetzen kann. Es ist das new and improved, das bessere Amerika voll besserer Amerikaner. Und deshalb hassen wir jeden Quadratzentimeter. Für die nächsten zwei Stunden jedenfalls, bis die Abstoßungsreaktion gegen die Westküste nachlässt.
    »Setzt den mal nach Montana, dann werden wir ja sehen, wer La Paloma pfeift«, schreit Nick in Richtung eines Volvo mit Mountainbike-Ständer auf dem Dach. Ich führe seinen Ausbruch auf die gepflegten rosa Blumenrabatte entlang des Freeways zurück; oder waren die als Palmen getarnten Handymasten einfach zu viel? Jedenfalls zetert Nick, der heute ausnahmsweise mal wieder fahren darf, mindestens 30 Meilen lang darüber, wie schlimm diese Ecke von Kalifornien doch sei und was für eine schwere Prüfung uns die Datacorp da zumute. Sunnyvale unterscheidet sich nicht wirklich vom Rest des Silicon Valley: Vor meinem Seitenfenster ziehen die üblichen Einkaufszentren, Büros und Schlafstädte im achso europäischen Stil vorbei; ob das schon Sunnyvale ist oder noch Cupertino oder irgendeine der anderen generischen Boomstädte, lässt sich nicht sagen, dafür sieht alles zu gleich aus, und eigentlich spielt es auch keine Rolle. Um uns nicht unnötig einheimischen Einflüssen aussetzen zu müssen, halten wir kurz bei Denny's an, einer neutralen Dinerkette, die durch irgendeine Sammelklage in den Neunzigern in Verruf geraten ist und seitdem jeden Kunden mit Kusshand begrüßt. Danach fahren wir in die Stadt rein, immer darauf bedacht, nicht in die als historisch beschilderte Altstadt zu geraten, denn das bedeutet normalerweise: gefakte Gaslaternen, Bistros, in denen Baguette aus biologischem Anbau gereicht wird, und eine Touristen-Bimmelbahn, die man nicht überholen darf. Wir passieren die Glaspaläste von Motorola und Yahoo, dann eine Filiale des Elektronikmarktes Fry's, der wie ein aztekischer Tempel aussieht. Insgesamt scheint Sunnyvale so eine Art Eschborn unter Palmen zu sein: eine Bürostadt, wo niemand wohnt. Entlang des Highways reiht sich ein Officepark an den nächsten, und jede Büroimmobilie sieht aus, als könne sie das Hauptquartier der Cyberdyne Corporation aus »Terminator II« sein: die Glasfront verspiegelt, der Mitarbeiterparkplatz umrahmt von prallem Golfrasen, die Bordsteinkanten

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