Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
Vom Netzwerk:
die Schwelle - jetzt wird sich entscheiden, ob diese Forschungsreise ausnahmsweise mal mehr ist als eine ironische Inszenierung. Nach weiteren drei Schritten surrt die Tür hinter uns zu und sperrt den Straßenlärm aus. Eisige Kälte weht uns entgegen und kriecht die noch vom Autofahren nass geschwitzten Rücken hinunter. Wieder so ein Altersding. Die Datacorp-Lobby liegt still und dunkel wie eine Gruft da, die Gruft von Blake Carrington aus dem Denver Clan. Alles ist im sauberen Achtzigerjahre-Stil ausgeführt, mit viel Messing und braunem Granit, wie bei Nick zuhause. Rauchglas an der Decke filtert alles Licht bis auf einen gelbbraunen Schimmer heraus und taucht den Raum in einen ewigen Sonnenuntergang. Sollten hier einmal Möbel gestanden haben, wurden sie schon lange weggeräumt, dafür aber gründlich, denn der Granitboden schimmert so sauber, als könne man auf ihm gefahrlos ein Herz verpflanzen.
    »Can I help you?«
    Geräuschlos ist ein Mann aus der Tür hinter dem Empfangspult getreten. Er sieht aus wie Morgan Freeman, trägt ein blaues Sakko, darunter ein hellblaues Hemd, das er für einen Concierge recht leger aufgeknöpft hat. An der Marmorwand hinter ihm glänzen die Messingbuchstaben seines Arbeitgebers. Da es jetzt zu spät zum Umdrehen ist, gehen wir in die Offensive.
    »Yes,we'd like to talk to a Datacorp representative«, verlangt Nick forsch, so, als ob er sich bei einem McDonald's-Manager über kalte Pommes beschweren will. Wir müssen wirklich bescheuert aussehen, mit unseren Wanderstiefeln und den karierten Flanellhemden mitten im Silicon Valley, wie die letzten Hinterwäldler. Doch der farbige Gentleman lässt sich davon nichts anmerken und erklärt uns seelenruhig: »I'm afraid you are too late. The company has moved out yesterday. Sorry. You might want to check their website for their new location.«
    Duh, als ob wir das nicht schon vor einem halben Jahr gemacht hätten. Ich nicke trotzdem höflich und setze an, mich umzudrehen. In diesem Moment dreht sich auch der Mann um und verschwindet wie die Figur einer Spieluhr wieder hinter der Tür, aus der er gekommen war. Wir schauen uns um. In der Besucherecke hängen einige alte Netzwerkkabel aus einer Dose knapp über dem Fußboden, es gibt keine Anzeichen für Zugangskontrollen oder Kameras, vor dem gläsernen Aufzug hängt bereits ein out of service-Schild. Plötzlich bemerke ich etwas, das ganz und gar nicht zu der sakralen Aufgeräumtheit passen will: Am Fuß der Besuchertheke, dort, wo es der Empfangsmann nicht sehen kann, steht ein brauner Karton. 30 mal 50 Zentimeter vielleicht, so groß wie eine Bücherkiste beim Umzug. Er ist oben zugetaped, trägt keine Adresse oder sonst welche Aufschriften. Ich schaue zu Nick rüber und nicke Richtung Karton.
    »Was?«, flüstert er.
    »Warum steht der noch hier, wenn die gestern ausgezogen sind«
    Nick zuckt mit den Schultern. Ich grinse. Wir kennen uns jetzt schon fast 20 Jahre, und ich weiß ganz genau, was er jetzt denkt. Jeder von uns würde jetzt gerne den Karton mitnehmen, wäre da nicht diese tiefe Angst davor, irgendwie anzuecken. Keiner von uns hat jemals mit dem Fußball eine Scheibe eingeschossen, hat sich mit einem Spickzettel erwischen lassen oder an der holländischen Grenze mit Dope im Handschuhfach. Warum auch, wenn sich immer jemand findet, der für ein paar lächerliche Mark Gewinn das Zeug aus Maastricht mitbringt? Kein Risiko - kein Stress, so einfach ist das. Da waren Nick und ich uns schon immer unausgesprochen einig. Sollen sich doch die Idioten aus der c den Ärger einhandeln. Höchste Zeit, damit aufzuhören.
    »Den nehmen wir mit«, schlage ich vor, peinlich genau darauf bedacht, die erste Person Plural zu verwenden. Mal sehen, wer zuerst den Colt zieht. Nick zieht erst mal nur eine Augenbraue hoch. Den Karton wirklich mitzunehmen wäre wirklich die krasseste Aktion, seit wir 1992 einem Hertz-Mitarbeiter auf der Toilette 200 Dollar zugesteckt haben, damit er uns - nach amerikanischem Recht - Minderjährigen einen Wagen vermietet. Ich kann übrigens bis heute nicht glauben, dass das geklappt hat. Aber, hey: Da waren wir zwanzig und noch keine von Rückenschweiß aufgeweichten Vollkaskoversicherten! So, als habe er genau diesen Gedanken gelesen, setzt Nick zur ultimativen Rebellion gegen das Alter an. Er geht zum Karton und tippt ihn erst mal mit dem Fuß an. Puff. Scheint sehr leicht zu sein. Vom Empfangsmann ist weit und breit nichts zu sehen. Puff. Nick kickt den Karton

Weitere Kostenlose Bücher