Extraleben - Trilogie
sich so klischeemäßig zu verhalten, als hätte der Regisseur gerade erst »Action!« gerufen: Schulmädchen in Neoprenanzügen üben auf dem Trockenen, ihre Surfbretter zu besteigen, und fallen quietschend in den Sand. Zwei Rentner mit exakt identischen Sonnenaufsätzen auf ihren Brillen walken durch die Wellen, vorbei an in die Jahren gekommenen Trophäen-Ehefrauen, die unbeweglich im Lotossitz ausharren und wie Eidechsen die Wärme aufsaugen. Die einzigen Fremdkörper sind Nick und ich, wie wir käseweiß und an unseren Limos nuckelnd den Strand langmarschieren. Nach einer halben Meile haben sich unsere Gaumen von der Attacke durch neun Beutelehen Sweet &Low-Süßstoff erholt, und die Road Riot-Wut ist so weit verflogen, dass wir das Gespräch mit unserem zweitliebsten Thema wieder aufnehmen können - dem Speiseplan für heute. Nach einigem Hin und Her einigen wir uns auf einen Thailänder am Sunset und setzen zufrieden unseren Marsch entlang der scheinbar endlosen Reihe von Bademeisterhäuschen fort. Essen ist doch der Sex des Alters.
»Und danach Mulholland Drive?«, hakt Nick zögerlich nach. Wow, es sieht fast danach aus, als sei mein Beifahrer ausnahmsweise gewillt, diesem letzten Abend etwas Glanz zu verleihen.
»Bin dabei.«
LEVEL 24
No helicopter looking for the murder, today was a good day. Tatsächlich scheint die Polizei von Los Angeles heute Abend nicht viel zu tun zu haben. Weit und breit ist kein Hubschrauber zu sehen, der mit seinem Suchscheinwerfer einen Flüchtigen in den Straßenschluchten festnagelt; keine Polizeisirene stört die Stille, und nur das Summen der Straßenlaternen erinnert einen daran, dass man nicht auf dem Dorf ist. Mit »It was a good day« von Ice Cube ist es genau wie mit »Driving home for Christmas« von Chris Rea - der Song läuft niemals im Radio, wenn man ihn am liebsten hören würde. Dabei würde er heute wirklich passen, denn es war ein verdammt guter Tag. Vor uns breitet sich der endlose Lichterteppich von Los Angeles aus. Volle hundert Meilen sind es von hier bis zur südlichen Stadtgrenze - unfassbar. Einhundert Meilen, fast so weit wie von Köln nach Frankfurt, nur Häuser, Freeways und Fabriken. Die orangefarbenen Adern der großen Boulevards schlängeln sich quer durch die Stadt und verlieren sich irgendwo am dunklen Horizont. Privatjets tanzen wie Glühwürmchen durch die Nacht. Im Westen hackt der schwarze Balken des Pazifik das Panorama ab, im Süden erheben sich die Bürotürme der Innenstadt. Mit ihren leuchtenden Fassaden sehen die Hochhäuser genauso aus, wie der damals so beliebte Cyberspace immer in den Filmen der Neunziger dargestellt wurde: ein Labyrinth aus Licht, Glasfasern oder Schaltkreisen. Man will über die Hügelkuppe springen und in den unvermeidlichen computergenerierten Kameraflug eintauchen. Heute Abend zeigt der Moloch seine friedliche Seite. Vielleicht ist es einfach noch nicht heiß genug. Angeblich gibt es ab 36 Grad Tagestemperatur in Los Angeles ja mehr Morde, weil die Leute bei Hitze öfter ausrasten. Doch heute nicht. It was a good day. Unten im Tal ist der Mulholland Drive eine langweilige Durchgangsstraße. Doch je höher man in die Hollywood Hillskommt, desto, na ja, Hollywood-artiger wird er. Steil und kurvig quält sich die Straße den Hügel hinauf, vorbei an verglasten Bungalows, bei denen man ständig den Verdacht hat, sie schon mal als Kulisse in einem Porno gesehen zu haben, was wahrscheinlich auch stimmt. Es sind diese typischen Junggesellen-Paradiese, in denen Typen wie Sonny Crockett wohnen; mit Raumteilern im Memphis-Design, Eames Lounge Chair vor dem Fenster und Whirlpool im Garten. Und natürlich mit dieser Aussicht. Da haben die Angelinos schon was. Und weil sie wissen, wie kostbar jedes Scheibchen ihres Panoramas ist, schirmen sich die Einheimischen eifersüchtig mit hohen Hecken gegen jeden Eindringling ab. Um trotzdem ein Stück Ausblick genießen zu können, müssen wir einen kleinen Regelverstoß in Kauf nehmen - nämlich den Mulholland Drive ganz nach oben fahren: Eigentlich ist die Straße hier für Anwohner reserviert, und an jeder Kreuzung stehen Durchfahrt-verboten-Angstschilder, die Auswärtige draußen halten sollen. Ausnahmsweise rebellieren wir, und das zahlt sich sogar aus: Wir finden ein Grundstück, auf dem gerade ein Apartment abgerissen wurde. Das bedeutet: keine Mauern, keine Alarmanlagen, freier Blick in die Nacht und auf die Welt. Vom Nachbargrundstück, auf dem eine Villa im spanischen
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