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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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Plattform am unteren Bildschirmrand hin und her und spielt den Ball in eine Klötzchenwand am oberen Rand zurück. Wo die Kugel einschlägt, verschwindet ein Steinchen, dann titscht sie wieder zur Plattform zurück. Ein billiger Klon des Hit-Spiels Breakout aus den Achtzigerjahren, simpel, aber hochinfektiös. Wie viele Freistunden haben wir damals auf dieses Hintergrundbild mit den blauen Waben gestarrt, wie oft haben wir frustriert gegen den Joystick geschlagen, wenn mal wieder ein Ball aus Versehen durchschlüpfte? Arkanoid gehörte zum Mobiliar der Spielkiste, der Zockhalle unseres Vertrauens zu Abizeiten. Der Laden lag direkt gegenüber unserer Schule und sah innen sogar ein bisschen aus wie der Hot-Dog-Wagen: Dunkle Wände, ein hellblauer Teppichboden mit postmodernem Muster, neben den Automaten über und über mit Brandflecken übersät - es durfte damals schließlich noch überall geraucht werden. Da eine Frau die Zockhalle führte, waren im Raum wahllos ein paar Plastikpalmen verteilt. Alles in allem stellte die Spielkiste den Versuch dar, das Apartment von Sonny Crockett in den Hollywood Hills mit Material aus dem Baumarkt nachzubilden. Uns war die Einrichtung natürlich völlig egal, wir kamen für die Videospiele: 1942, Raiden, R-Type. Während jeder Freistunde oder Schülervollversammlung war die Spielkiste rappelvoll, darauf konnte man sich verlassen. Und da standen wir dann, mit unseren Diesel Saddle-Jeans und Boss-Sakkos, lehnten lässig an den Automaten und versuchten, so zu tun, als hätten wir für den gerade eingeworfenen Heiermannbeim Pizzaservice nicht eine halbe Stunde Käse reiben müssen; die Dinge mühelos erscheinen zu lassen war schließlich oberste Pflicht. Ich kann das Gefasel der Gutmenschen förmlich hören: Damals spielte man noch zusammen, da hockte noch nicht jeder isoliert vor dem Rechner. Aber das ist nichts als Pfadfindergewäsch. Die Spielkiste war kein sozialer Schmelztiegel, sondern hier stand - genau wie überall woanders auch - die Klassengrenze bombensicher: Sie verlief quer durch den Raum, und zwar zwischen den Daddelautomaten an der einen Wand und den Videospielen auf der anderen. Auf der einen Seite fütterten die Arbeitslosen den Sonnen Play schon morgens um zehn mit dem Rest ihrer Stütze, gegenüber droschen wir auf die Feuerknöpfe ein. Ein Austausch über die Demarkationslinie Merkur-Mario hinweg fand nicht statt. Geldspieler wagten sich niemals in die Videoecke, wir trauten uns nicht ins Schnauzerterritorium. Daddeln, das war doch was für Leute, die sich an der Raste eine Packung Ramses mit Feuchtfilm ziehen. Bildeten wir uns zumindest ein. Aber dann, kurz vorm Abi, brach in der Spielkiste doch noch das große Miteinander aus: Über Nacht löste sich die Front auf und wurde - zumindest in eine Richtung - durchlässig. Nein, die ALU-Empfänger wechselten nicht die Seite und kamen zu uns rüber. Wir begannen zu daddeln. Wir, die ach so überlegenen Computerspieler, fest im Glauben an den Highscore und den Sieg des Willens über die Maschine, hatten plötzlich einen Mordsspaß dabei, für 30 Pfennig zehn Sekunden lang drehende Scheiben anzustarren. Und es waren keineswegs nur Nachprüfungskandidaten, die sich unter die Vokuhila-Fraktion mischten, sondern allen voran jene Jungs, die Minuten zuvor im Philosophieunterricht noch das Loblied auf die Ratio gesungen hatten. Diese oberklugen Streber ließen auf einmal den typischen Daddler-Bullshit vom Stapel, und zwar im vollen Ernst: »Der wirft gleich! Das siehst du daran, dass das Licht erst hier einmal blinkt und dann ...« oder »Wenn die Dreißig fünfzehn Mal hintereinandergekommen ist, kommt als Nächstes ...« und natürlich der Klassiker »der Schlüter hat letzte Woche hundertzwanzig Mark aus dem Ding rausgeholt«, Irgendwann war der Spuk dann vorbei, und der Schlüter musste seinen Golf GTD wieder daheim auf Papas Hof mit verbilligtem Traktordiesel befüllen. Eigentlich hätte ich Lust auf eine Runde Arkanoid, doch die Kiste nimmt ausschließlich Kronen, und ich habe nur noch Dollar in der Tasche; immerhin konnte ich mit denen im Würstchenwagen das Essen bezahlen. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als weiter auf das Demoprogramm zu starren und zu warten, bis der Regen ein wenig nachlässt. Der Spielautomat stammt sicher noch aus der Zeit, als hier die Leute von der US Air Force ihre Zeit totgeschlagen haben. Anfang der Neunziger ist der letzte G.I. ins Flugzeug nach Hause gestiegen, dann wurde die Base

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