Extrem laut und unglaublich nah
hätte, hätte ich nie mehr etwas gegessen. »Aber wie konntest du wissen, dass er dein Sohn ist, wenn er es dir nicht gesagt hat.« »Ich wusste es, weil er mein Sohn war.« Sie legte mir eine Hand auf die Brust, auf mein Herz, ich legte meine Hände auf ihre Schenkel, ich packte sie, sie zog mir die Hose aus,»Ich bin nervös«, auch wenn ich über haupt nicht wollte, die Skulptur wurde Anna immer ähnlicher, deine Mutter schloss hinter sich die Tür, bald ist das Buch voll … Tagsüber lief ich meist in der Stadt herum, ich entdeckte sie neu, ich ging zur alten Columbian Bakery, aber sie war verschwunden, an ihrer Stelle gab es einen Neunundneunzig Cent-Laden, in dem alle Artikel mehr als neunundneunzig Cent kosteten. Ich ging zum Schneider, zu dem ich früher meine Hosen gebracht hatte, aber dort war eine Bank, man konnte die Tür nur mit einer Karte öffnen, ich lief stundenlang durch die Stadt, die eine Seite des Broadway hinunter, die andere wieder hinauf, wo der Uhrmacher gewesen war, war eine Videothek, wo der Blumenladen gewesen war, war ein Laden für Videospiele, wo der Fleischer gewesen war, war ein Sushi-Restaurant, was soll das sein, Sushi, und was machten die Leute mit all ihren kaputten Uhren? Ich verbrachte Stunden im Hunde-Auslauf neben dem Museum of Natural History, ein Pitbull, ein Labrador, ein Golden Retriever, ich war der einzige Mensch ohne Hund, ich überlegte und überlegte, wie konnte ich Oskar aus der Ferne nahe sein, wie sollte ich fair bleiben, dir gegenüber und deiner Mutter gegenüber und mir selbst gegenüber, am liebsten hätte ich ständig die Tür mit mir herumgeschleppt, um ihn immer durchs Schlüsselloch beobachten zu können, ich tat das Nächstbeste. Ich lernte sein Leben aus der Ferne kennen, wann er zur Schule ging, wann er nach Hause kam, wo seine Freunde wohnten, in welche Läden er am liebsten ging, ich folgte ihm quer durch die ganze Stadt, aber ich verriet deine Mutter kein einziges Mal, denn er bekam mich nie zu Gesicht. Ich bildete mir ein, es könnte immer so weitergehen, musste aber feststellen, dass ich mich erneut geirrt hatte. Ich weiß nicht mehr, wann ich mich zum ersten Mal fragte, warum er so oft unterwegs war, warum er so viele verschiedene Stadtviertel besuchte, warum ich als Einziger auf ihn aufpasste, wie seine Mutter zulassen konnte, dass er allein so weit herumlief. Jeden Samstagmorgen verließ er das Haus mit einem alten Mann und klingelte überall in der Stadt an Türen, ich trug alles auf einer Karte ein, konnte aber keinen Sinn darin sehen, die Sache war sinnlos, was machten sie da? Und wer war der alte Mann, ein Freund, ein Lehrer, der Ersatz für einen fehlenden Großvater? Und warum blieben sie immer nur ein paar Minuten in jeder Wohnung, verkauften sie etwas, sammelten sie Informationen? Wusste seine Großmutter davon, war ich der Einzige, der sich Sorgen um ihn machte? Nachdem sie in Staten Island wieder aus einem Haus gekommen waren, wartete ich kurz und klopfte dann an die Tür, »Nicht zu fassen«, sagte die Frau,»noch ein Besucher!« »Tut mir Leid«, schrieb ich, »ich spreche nicht. Der Junge, der gerade hier war, ist mein Enkel. Können Sie mir sagen, warum er Sie besucht hat?« Die Frau erwiderte: »Sie sind schon eine komische Familie.« Ich dachte: Ja, eine Familie sind wir. »Ich habe gerade mit seiner Mutter telefoniert.« Ich schrieb: »Warum hat er Sie besucht?« Sie sagte: »Wegen dem Schlüssel.« Ich fragte: »Welcher Schlüssel?« Sie sagte: »Der für das Schloss.« »Welches Schloss?« »Wissen Sie das denn nicht?« Ich blieb ihm acht Monate auf den Fersen und sprach mit den Leuten, mit denen er gesprochen hatte, ich versuchte, etwas über ihn in Erfahrung zu bringen, so wie er etwas über dich in Erfahrung zu bringen versuchte, er versuchte, dich zu finden, wie du versucht hattest, mich zu finden, mein Herz zerbrach in mehr Teile als die, aus denen es besteht, warum können die Menschen nicht rechtzeitig aussprechen, was sie denken? Eines Nachmittags folgte ich ihm in die Innenstadt, in der U-Bahn saßen wir uns gegenüber, der alte Mann musterte mich, war mein Blick zu aufdringlich, streckte ich die Arme aus, wusste er, dass ich eigentlich neben Oskar hätte sitzen müssen? Sie gingen in einen Coffeeshop, auf dem Rückweg verlor ich sie aus den Augen, das passierte mir oft, ziemlich schwierig, jemandem heimlich auf den Fersen zu bleiben, und ich wollte deine Mutter nicht verraten. Als ich wieder an der Upper West Side
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