Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
Vom Netzwerk:
sagte sie, »er muss ein paar Sachen erledigen.« »Aber wie hat er die Wohnung verlassen?« »Er ist gegangen, kurz bevor du kamst.« »Aber du hast mir doch gesagt, dass du dich gerade noch mit ihm unterhalten hast.« Er wusste von mir, er wusste nicht, wer ich war, aber er wusste, dass jemand da war, und er wusste, dass sie nicht die Wahrheit sagte, das konnte ich an seiner Stimme hören, an meiner Stimme, an deiner Stimme, ich musste dringend mit ihm reden, aber was genau sollte ich ihm sagen? Ich bin dein Großvater, ich liebe dich, es tut mir Leid? Vielleicht musste ich ihm unbedingt alles erzählen, was ich dir nicht hatte erzählen können, musste ihm all die Briefe zeigen, die eigentlich für dich bestimmt waren. Aber sie würde es nie zulassen, und ich würde sie nicht verraten, und darum begann ich, über andere Möglichkeiten nachzudenken …Was soll ich tun, ich brauche mehr Platz, ich habe so viel Wichtiges zu sagen, meine Wörter rennen gegen die Seitenränder an wie gegen Mauern, am nächsten Tag kam deine Mutter ins Gästezimmer, um mir Modell zu stehen, ich bear beitete den Ton mit JA und NEIN , ich knetete ihn weich, ich drückte meine Daumen in ihre Wangen, um ihre Nase aus dem Ton zu treiben, ich hinterließ dabei meine Daumenab drücke, ich formte Pupillen, ich formte ihre Brauen, ich formte die Delle zwischen Kinn und Unterlippe, ich nahm ein Tagebuch und ging zu ihr. Ich schrieb auf, wo ich nach meinem Verschwinden gewesen war und was ich getan hatte, wie ich mein Geld verdient hatte, mit wem ich meine Zeit verbracht hatte, worüber ich nachgedacht, wem ich zugehört und was ich gegessen hatte, aber sie riss die Seite aus dem Buch, »Das interessiert mich nicht«, sagte sie, ich weiß nicht, ob es ihr wirklich egal war oder ob es einen anderen Grund gab, ich schrieb auf die nächste leere Seite: »Ich werde alle Fragen beantworten, egal welche«, sie sagte: »Mir ist klar, dass dir dann leichter ums Herz wäre, aber ich will nichts wissen.« Aber warum nicht? Ich bat sie, mir von dir zu erzählen, sie sagte: »Nicht unser Sohn, sondern mein Sohn«, ich bat sie, mir von ihrem Sohn zu erzählen, sie sagte: »Ich habe jedes Jahr zu Thanksgiving einen Truthahn und eine Kürbis-Pie gemacht. Ich bin zum Schulhof gegangen und habe die Kinder gefragt, welches Spielzeug ihnen gefällt. Das habe ich ihm dann gekauft. Zu Hause durfte keine fremde Sprache gesprochen werden. Aber er wurde trotzdem wie du.« »Er wurde wie ich?« »Alles war immer ja und nein zugleich.« »Hat er ein College be sucht?« »Ich habe ihn gebeten, in der Nähe zu bleiben, aber er ist nach Kalifornien gegangen. In der Hinsicht war er auch wie du.« »Was hat er studiert?« »Er wollte eigentlich Rechts anwalt werden, aber dann hat er den Laden übernommen. Er hat Schmuck gehasst.« »Warum hast du den Laden nicht ver kauft?« »Ich habe ihn gebeten. Ich habe ihn gebeten, Rechts anwalt zu werden.« »Warum hat er es nicht getan?« »Er wollte sein eigener Vater sein.« Wenn das wahr ist, tut es mir Leid, denn dass du wie ich werden würdest, war das Letzte, was ich wollte, ich bin gegangen, damit du ganz du selbst sein konn test. Sie sagte: »Einmal hat er versucht, dich aufzuspüren. Ich habe ihm den einzigen Brief gegeben, den du je geschickt hast. Er war wie besessen davon, er hat ihn immer wieder ge lesen. Ich weiß nicht, was darin stand, aber es hat ihn dazu ge bracht, dich zu suchen.« Ich schrieb auf die nächste leere Seite: »Eines Tages habe ich die Tür geöffnet, und da stand er.« »Er hat dich gefunden?« »Wir haben nicht geredet.« »Ich wusste nicht, dass er dich besucht hat.« »Er wollte mir nicht verraten, wer er war. Vielleicht war er zu aufgeregt. Oder er hat mich gehasst, als er mich gesehen hat. Er hat sich als Journalist aus gegeben. Es war schrecklich. Er hat behauptet, an einem Arti kel über die Überlebenden des Bombenangriffs zu schreiben.« »Hast du ihm von der Nacht des Bombenangriffs erzählt?« »Das stand im Brief.« »Was hast du geschrieben?« »Hast du ihn etwa nicht gelesen?« »Er war ja nicht für mich.« »Es war furchtbar. Die vielen Dinge, die wir nicht teilen konnten. Das Zimmer quoll über von dem, was nicht gesagt wurde.« Ich verschwieg ihr, dass ich nach deinem Besuch nichts mehr es sen konnte, ich wurde so mager, dass das Badewasser Pfützen zwischen meinen Rippen bildete, warum hatte mich nie je mand nach dem Grund für meine Magerkeit gefragt? Wenn mich jemand danach gefragt

Weitere Kostenlose Bücher