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Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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er gar nicht zur Familie gehörte. Ich ging in die Küche und holte mir ein bisschen dehydrierte Eiscreme. Ich warf einen Blick aufs Telefon. Das neue Telefon. Es erwi derte meinen Blick. Wenn es klingelte, schrie ich immer: »Das Telefon klingelt!«, denn ich mochte es nicht anfassen. Ich mochte nicht einmal im selben Zimmer wie es sein.
    Ich drückte den Knopf für die Nachrichten. Das hatte ich seit dem allerschlimmsten Tag nicht mehr getan, und damals war es noch das alte Telefon gewesen.
    Nachricht Eins. Samstag, 11:52 Uhr. Hallo, dies ist eine Nach richt für Oskar Schell. Oskar, hier ist Abby Black. Du bist gerade bei mir gewesen und hast nach dem Schlüssel gefragt. Ich war nicht ganz ehrlich zu dir, und ich glaube, ich könnte dir helfen. Bitte gib …
    An dieser Stelle brach die Nachricht ab.
    Abby war die Zweite auf meiner Liste gewesen. Ich hatte sie vor acht Monaten besucht. Sie wohnte im schmalsten Haus von New York. Ich sagte ihr, sie sei schön. Sie musste lachen. Ich sagte ihr, sie sei schön. Sie erwiderte, ich sei süß. Als ich ihr von den paranormalen Fähigkeiten der Elefanten erzählte, brach sie in Tränen aus. Ich fragte sie, ob wir uns küssen könn ten. Sie lehnte nicht rundheraus ab. Ihre Nachricht wartete seit acht Monaten auf mich.
    »Mom?« »Ja?« »Ich gehe nochmal raus.« »Okay.« »Ich bin später wieder da.« »Okay.« »Wann, weiß ich nicht genau. Es kann ziemlich spät werden.« »Okay.« Warum hakte sie nicht nach? Warum versuchte sie nicht, mich aufzuhalten, warum machte sie sich nicht wenigstens Gedanken, ob ich wohlbehal ten zurückkehrte?
    Weil es draußen schon dunkel wurde und weil die Straßen voll waren, stieß ich mit gugolplexvielen Menschen zusam men. Wer waren sie? Wohin gingen sie? Wonach suchten sie? Ich hätte gern ihren Herzschlag gehört, und ich wünschte mir, sie hätten meinen hören können.
    Die U-Bahn-Station war nur ein paar Blocks von Abbys Haus entfernt, und als ich dort ankam, stand die Tür einen kleinen Spalt offen, als hätte Abby gewusst, dass ich kommen würde, obwohl das unmöglich war, versteht sich von selbst. Aber warum stand sie dann offen?
    »Hallo? Ist jemand zu Hause? Hier ist Oskar Schell.«
    Sie kam an die Tür.
    Ich war erleichtert, weil sie keine Einbildung war.
    »Erinnern Sie sich noch an mich?« »Sicher, Oskar. Du bist gewachsen.« »Wirklich?« »Und zwar ganz schön. Bestimmt ein paar Zentimeter.« »Ich war so mit Suchen beschäftigt, dass ich mich gar nicht mehr gemessen habe.« »Komm rein«, sagte sie. »Ich habe schon nicht mehr geglaubt, dass du noch kommst. Mein Anruf ist ja schon eine Ewigkeit her.« Ich erwiderte: »Ich habe Angst vor dem Telefon.«
    Sie sagte: »Du hast ziemlich viele Ängste.« Ich sagte: »Ihre Nachricht.« »Die ich dir vor vielen Monaten draufgesprochen habe?« »Wieso waren Sie nicht ehrlich zu mir?« »Weil ich be hauptet habe, nichts über den Schlüssel zu wissen.« »Aber Sie wissen doch etwas?« »Ja. Nein, eigentlich nicht. Nicht selbst. Aber mein Mann.« »Warum haben Sie mir das nicht bei mei nem ersten Besuch erzählt?« »Es ging nicht.« »Warum nicht?« »Es ging einfach nicht.« »Das ist keine richtige Antwort.« »Mein Mann und ich hatten uns gerade furchtbar gestritten.« »Er war mein Dad!« »Er war mein Mann.« »Man hat ihn getö tet!«
    »Ich wollte ihm wehtun.« »Warum?« »Weil er mir wehgetan

hatte.« »Warum?« »Weil die Menschen einander wehtun. So sind die Menschen.« »Ich nicht.« »Ich weiß.« »Ich habe acht Monate nach etwas gesucht, das Sie mir innerhalb von Sekun den hätten zeigen können!« »Ich habe dich ja angerufen. Gleich nachdem du weg warst.« »Sie haben mir wehgetan!« »Das tut mir sehr Leid.«
    » Und ?«, fragte ich. »Was ist jetzt mit Ihrem Mann?« Sie sag te: »Er hat dich gesucht.« » Er hat mich gesucht?« »Ja.« »Aber ich habe doch nach ihm gesucht!« »Er kann dir alles erklären. Am besten, du rufst ihn an.« »Ich bin wütend auf Sie, weil Sie nicht ehrlich zu mir waren.« »Ich weiß.« »Sie hätten fast mein Leben ruiniert.«
    Wir waren einander unglaublich nah.
    Ich konnte ihren Atem riechen.
    Sie sagte: »Küss mich, wenn du willst.« »Bitte?« »Als du zum ersten Mal hier warst, hast du mich gefragt, ob wir uns küssen könnten. Damals habe ich Nein gesagt, aber jetzt sage ich Ja.« »Ich schäme mich für damals.« »Du hast keinen Grund, dich zu schämen.« »Sie müssen mir den Kuss nicht aus Mitleid er lauben.« »Wenn du

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