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Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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Holzpuppen mit Puppen in Puppen in Puppen … Was davon hatte Dad für später aufgehoben, wenn ich Kinder hätte?
    Es war 2:36 Uhr morgens. Ich ging in Moms Zimmer. Sie schlief, versteht sich von selbst. Ich sah zu, wie ihre Decke gleichzeitig mit ihr atmete. Als ich noch zu klein war, um bio logische Prozesse kapieren zu können, meinte Dad immer, dass die Bäume einatmen, wenn die Menschen ausatmen. Ich wuss te, dass Mom träumte, aber ich wollte nicht wissen, was sie träumte, denn ich hatte schon genug eigene Albträume, und wenn sie etwas Schönes geträumt hätte, wäre ich sauer auf sie gewesen. Ich berührte sie unglaublich sanft. Sie fuhr auf und sagte: »Was ist los?« Ich sagte: »Alles okay.« Sie packte mich an den Schultern und fragte: »Was ist los?« Ihr Griff tat weh, aber ich ließ mir nichts anmerken.»Weißt du noch, als wir nach New Jersey zu dem Lagerhaus gefahren sind?« Sie ließ mich los und legte sich wieder hin. »Was?« »Da, wo Dads alte Sachen sind.
    Weißt du noch?« »Oskar, es ist mitten in der Nacht.« »Wie heißt das Ding?« » Oskar .« »Ich will doch nur wissen, wie das Ding heißt.« Sie griff nach ihrer Brille, die auf dem Nacht schrank lag, und ich hätte alle meine Sammlungen und jedes einzelne Schmuckstück, das ich bis dahin gemacht hatte, und sämtliche zukünftigen Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke dafür gegeben, dass sie gesagt hätte: »Black Storage.« Oder: »Blackwell Storage.« Oder: »Blackman.« Oder wenigstens: »Midnight Storage.« Oder: »Dark Storage.« Oder: »Rainbow.«
    Sie zog ein Gesicht, als würde ihr jemand wehtun, und sag te: »Store-a-Lot.«
    Ich konnte die Enttäuschungen nicht mehr zählen.

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WARUM ICH NICHT BEI DIR BIN
21.5.63
    Deine Mutter und ich sprechen nie über die Vergangenheit, das ist eine Regel. Wenn sie im Bad ist, gehe ich an die Tür, und sie schaut mir nie über die Schulter, wenn ich schreibe, das sind noch zwei Regeln. Ich halte ihr Türen auf, berühre sie aber nie am Rücken, wenn sie durchgeht, ich darf ihr nicht beim Kochen zuschauen, sie faltet meine Hosen zusammen, lässt die Hemden aber neben dem Bügelbrett liegen, ich zünde keine Kerzen an, wenn sie mit im Zimmer ist, aber ich puste Kerzen aus. Eine Regel ist, dass wir nie traurige Musik hören, diese Regel haben wir schon früh aufgestellt, Lieder sind immer so traurig wie der Zuhörer, wir hören nur sehr selten Musik. Ich beziehe jeden Morgen das Bett neu, um wegzuwaschen, was ich geschrieben habe, wir schlafen nie zweimal im selben Bett, wir schauen uns nie Fernsehshows über kranke Kinder an, sie fragt mich nie, wie mein Tag war, wir sitzen beim Essen immer beide auf der gleichen Seite des Tisches mit Blick aufs Fenster. So viele Regeln, manchmal weiß ich schon gar nicht mehr, was eine Regel ist und was nicht, ob wir überhaupt irgendetwas um der Sache selbst willen tun, heute verlasse ich sie, ist das die zentrale Regel, oder bin ich gerade dabei, diese zentrale Regel zu brechen? Früher bin ich jedes Wochenende mit dem Bus hierher gefahren, um die Zeitschriften und Zeitungen einzusammeln, die die Flugreisenden beim Aufbruch liegen lassen, deine Mutter liest und liest und liest, sie will so viel Englisch wie möglich lesen, ist das eine Regel? Ich bin immer am späten Freitagnachmittag hierher gefahren und kam dann mit einer Zeitung und ein oder zwei Zeitschriften nach Hause, aber sie wollte mehr, mehr Slang, mehr Redewendungen, »bee’s knees«, »cat’s pyjamas«, »horse of a different color«, »dog-tired«, sie wollte sprechen, als wäre sie hier geboren worden, als stammte sie nicht von anderswo, also nahm ich immer einen Beutel mit, in den ich alles stopfte, was ich finden konnte, er wurde schwer, von so viel Englisch taten mir die Schultern weh, sie wollte mehr Englisch, also nahm ich einen Koffer mit, ich füllte ihn, bis ich den Reißverschluss kaum noch zubekam, das Englisch zog den Koffer zu Boden, vom vielen Englisch taten mir die Arme weh, die Hände, die Fingerknöchel, die Leute müssen geglaubt haben, dass ich tatsächlich irgendwo hinfliegen wollte, am nächsten Morgen tat mir der Rücken vom Englisch weh, ich hielt mich immer länger hier auf, ich blieb viel länger als nötig und sah den Flugzeugen zu, die Menschen hin und her beförderten, ich begann, zweimal pro Woche hierher zu fahren und mehrere Stunden zu bleiben, wenn ich nach Hause musste, wollte ich nicht weg, und wenn ich nicht hier war, wäre ich am liebsten hier

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