Extrem laut und unglaublich nah
verheimlichen. Ich versuchte, es so lange zu verheimlichen, bis nichts mehr zu machen war. Es war das tiefste Geheimnis. Leben. Es war sicher in mir verwahrt. Ich trug es mit mir herum. Wie er die Wohnung in seinen Tagebüchern mit sich herumtrug. Ich zog weite Hemden an. Beim Sitzen legte ich mir Kissen auf den Bauch. Nackt war ich nur an Nicht-Orten.
Aber ich konnte es nicht für immer geheim halten.
Wir lagen im Dunkeln im Bett. Ich wusste nicht, wie ich es ihm sagen sollte. Doch, ich wusste es, aber ich brachte es nicht über die Lippen. Ich nahm eines seiner Tagebücher vom Nachtschrank.
Die Wohnung war nie dunkler gewesen.
Ich knipste die Lampe an.
Um uns wurde es Licht.
Die Wohnung wurde noch dunkler.
Ich schrieb: Ich bin schwanger.
Ich gab ihm das Buch. Er las den Satz.
Er nahm den Stift und schrieb: Wie konnte das passieren?
Ich schrieb: Ich habe dafür gesorgt, dass es passiert.
Er schrieb: Aber wir hatten eine Regel.
Auf der nächsten Seite war ein Türknauf.
Ich blätterte um und schrieb: Ich habe die Regel gebrochen.
Er setzte sich im Bett auf. Ich weiß nicht, wie viel Zeit verstrich.
Er schrieb: Alles wird gut.
Ich erwiderte, gut sei nicht genug.
Alles wird gut bestens.
Ich erwiderte, eine Lüge helfe jetzt auch nicht mehr . Alles wird gut besten s
Ich fing an zu weinen.
Es war das erste Mal, dass ich vor ihm weinte. Es war wie miteinander schlafen.
Ich stellte ihm eine Frage, die mich beschäftigt hatte, seit wir vor Jahren die ersten Nicht-Orte eingerichtet hatten.
Was sind wir? Etwas oder Nichts?
Er legte mir seine Hände aufs Gesicht und hob sie wieder.
Ich wusste nicht, was er mir damit sagen wollte.
Am nächsten Morgen hatte ich eine schlimme Erkältung.
Ich wusste nicht, ob die Krankheit durch das Baby oder dei nen Großvater kam.
Als ich mich vor seiner Fahrt zum Flughafen von ihm ver abschiedete, hob ich seinen Koffer an und merkte, dass er schwer war.
Da wusste ich, dass er mich verlassen wollte.
Ich überlegte, ob ich ihn aufhalten sollte. Ihn zu Boden zwingen und dazu bringen sollte, mich zu lieben. Am liebs ten hätte ich ihn an den Schultern nach unten gezogen und ihm ins Gesicht geschrien.
Ich folgte ihm zum Flughafen.
Ich beobachtete ihn den ganzen Vormittag. Ich wusste nicht, wie ich ihn ansprechen sollte. Ich sah, wie er in sein Buch schrieb. Ich sah, dass er immer wieder Leute nach der Uhrzeit fragte, obwohl alle nur auf die große, gelbe Uhr an der Wand zeigten.
Es war komisch, ihn von weitem zu sehen. Er kam mir so klein vor. Hier draußen in der Welt war er mir viel wichtiger als in der Wohnung. Ich wollte ihn vor all den schrecklichen Schicksalsschlägen beschützen, von denen man oft unverdient getroffen wird.
Ich schlich mich ganz dicht an ihn heran. Bis direkt hinter ihn. Ich sah, wie er schrieb: Furchtbar, dass wir leben müssen, aber tragisch, dass wir nur ein Leben haben. Ich trat einen Schritt zurück. Ich konnte nicht so dicht hinter ihm stehen. Selbst da nicht. Hinter einer Säule versteckt, sah ich zu, wie er weiterschrieb und nach der Uhrzeit fragte und sich die rau en Hände an den Knien rieb. Ja und Nein.
Ich sah ihm zu, als er sich in der Schlange anstellte, um ein Ticket zu kaufen.
Ich fragte mich: Wann greife ich ein, um zu verhindern, dass er fortgeht?
Ich wusste nicht, wie ich ihn fragen oder es ihm sagen oder ihn bitten sollte.
Als er ganz vorne in der Schlange stand, ging ich zu ihm.
Ich berührte ihn an der Schulter.
Ich kann sehen, sagte ich. Was für ein dummer Satz. Mei ne Augen sind schlecht, aber ich kann sehen.
Was tust du hier?, schrieb er mit den Händen.
Plötzlich war ich ganz schüchtern. Schüchternheit war mir fremd. Scham war mir nicht fremd. Schüchternheit bedeu tet, den Blick von etwas abzuwenden, das man haben will. Scham bedeutet, den Blick von etwas abzuwenden, das man nicht haben will.
Ich weiß, dass du fortgehst, sagte ich.
Du musst nach Hause, schrieb er. Du solltest längst im Bett sein.
Okay, sagte ich. Ich wusste nicht, wie ich das sagen sollte, was mir eigentlich auf dem Herzen lag.
Komm, ich bringe dich nach Hause.
Nein. Ich will nicht nach Hause.
Er schrieb: Du bist doch verrückt. Du wirst dich erkäl ten.
Ich bin schon erkältet.
Und, du wirst dich erkälteren.
Ich fand es unfassbar, dass er einen Scherz machte. Und ich fand es unfassbar, dass ich lachen musste.
Das Lachen erinnerte mich an unseren Küchentisch, an dem wir so viel gelacht hatten. An diesem Tisch waren wir
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