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Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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Er hat wochenlang von nichts anderem geredet. Das hier ist das Ti cket unseres Fluges nach Maui, Hawaii. Ich sage das nicht, um anzugeben, aber es war unser dreißigster Hochzeitstag. Dreißig Jahre. Wir wollten unser Ehegelübde erneuern. Wie in einem romantischen Roman. Sein Handgepäck war voller Blumen, Gott segne ihn. Er wollte mich im Flugzeug damit überraschen, aber ich schaute auf den Bildschirm, als seine Tasche durch leuchtet wurde, und ob ihr es glaubt oder nicht – ich sah einen tiefschwarzen Blumenstrauß. Wie die Schatten von Blumen. Was bin ich doch für eine glückliche Frau.« Sie wischte unse re Fingerabdrücke mit einem Lappen weg.
    Wir hatten vier Stunden für den Weg zu ihr gebraucht.

Zwei davon gingen drauf, weil mich Mr Black überreden musste, die Staten-Island-Fähre zu nehmen. Davon abgesehen, dass sie ein potenzielles Ziel für Terroranschläge war, hatte es auch kürzlich ein Fährunglück gegeben, und in mein Was-ich erlebt-habe- Album hatte ich Fotos von Menschen geklebt, die Arme und Beine verloren hatten. Außerdem mochte ich keine Wasserflächen. Und Boote mochte ich auch nicht besonders. Mr Black fragte mich, wie ich mich abends im Bett fühlen würde, wenn ich die Fähre nicht bestiege. Ich erwiderte: »Ich hätte wahrscheinlich Bleifüße.« »Und wie würdest du dich fühlen, wenn du es getan hättest?« »Große Klasse.« »Also?« »Aber was ist, wenn ich auf der Fähre bin ? Was ist, wenn sie sinkt? Was ist, wenn mich jemand über Bord stößt? Was ist, wenn sie von einer tragbaren Rakete getroffen wird? Dann gibt es heute Abend keinen Abend mehr.« Er sagte: »Wenn das pas siert, merkst du sowieso nichts mehr.« Daraufhin überdachte ich die Sache doch noch einmal.
    »Das hier ist ein Zeugnis, das ihm der befehlshabende Offi zier ausgestellt hat«, sagte Georgia und tippte auf die Vitrine. »Es ist beispielhaft. Das hier ist die Krawatte, die er bei der Be erdigung seiner Mutter trug. Gott hab sie selig, denn sie war ein reizender Mensch. Reizender als viele andere Menschen. Und das hier ist ein Foto des Hauses, in dem er aufgewachsen ist. Das war natürlich lange vor unserer ersten Begegnung.« Sie tippte auf jede Vitrine und wischte dann gleich ihre Fin gerabdrücke weg, es war ganz ähnlich wie bei einem Möbius - Band.»Das hier sind die Briefe, die er mir aus dem College ge schrieben hat. Das hier ist sein Zigarettenetui von damals, als er noch geraucht hat. Das hier ist sein ›Purple Heart‹.«
    Aus nahe liegenden Gründen bekam ich langsam Bleifüße, denn wo waren ihre Sachen? Wo waren ihre Schuhe, wo war ihr Diplom? Wo waren die Schatten ihrer Blumen? Ich fasste den Beschluss, sie nicht nach dem Schlüssel zu fragen, weil ich sie im Glauben lassen wollte, dass wir nur wegen ihres Museums gekommen waren, und ich glaube, Mr Black hatte die gleiche Idee. Ich beschloss im Stillen, sie erst wieder zu besuchen und ihr vielleicht ein paar Fragen zu stellen, wenn wir mit der Liste durch waren und nichts herausgefunden hatten. »Das hier sind seine Babyschuhe.«
    Aber dann fragte ich mich Folgendes: Sie hatte gesagt, wir seien die ersten Besucher seit einem knappen Jahr. Dad war vor etwas mehr als einem Jahr gestorben. War er der letzte Be sucher vor uns gewesen?
    »Hallo, alle zusammen«, sagte ein Mann in der Tür. Er hielt zwei dampfende Becher in den Händen, und seine Haare wa ren nass. »Ach, du bist schon wach!«, sagte Georgia und nahm den Becher, auf dem »Georgia« stand. Sie gab ihm einen di cken Kuss, und ich dachte: Was in? Was zum? »Das ist er«, sag te sie. »Das ist wer?«, fragte Mr Black. »Mein Mann«, sagte sie und es klang fast, als wäre er ein weiteres Objekt in der Aus stellung über sein Leben. Wir standen alle vier da und lächel ten uns an, und dann sagte der Mann: »Ich nehme an, dass ihr jetzt mein Museum sehen möchtet.« Ich erwiderte: »Haben wir gerade. Es ist toll.« Er sagte: »Nein, Oskar, das ist ihr Mu seum. Meines ist nebenan.«
    Vielen Dank für Ihren Brief. Da ich sehr
    viel Post bekomme, kann ich nicht alles
    persönlich beantworten. Trotzdem lese ich
    sämtliche Briefe und bewahre sie in der
    Hoffnung auf, sie eines Tages gebührend
    beantworten zu können.
    Bis dahin mit freundlichen Grüßen,
    Ihr Stephen Hawking
     
    Die Woche verging wie im Flug. Iris Black. Jeremy Black. Kyle Black. Lori Black … Mark Black musste weinen, als er die Tür öffnete und uns erblickte, denn er wartete darauf, dass jemand zu ihm zurückkehrte,

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