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Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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und jedes Mal, wenn bei ihm geklopft wurde, hoffte er unwillkürlich, es könnte jener Mensch sein, obwohl er wusste, dass er die Hoffnung besser begrub.
    Von Nancy Blacks Mitbewohnerin erfuhren wir, dass Nan cy gerade bei der Arbeit im Coffee Store in der Neunzehnten Straße sei, also gingen wir dorthin und ich erklärte ihr, dass Kaffee im Gegensatz zur landläufigen Meinung mehr Koffein als Espresso enthalte, weil das Wasser wesentlich länger in Be rührung mit dem Kaffeepulver sei. Das sei ihr neu, meinte sie. »Wenn er das sagt, muss es stimmen«, sagte Mr Black und tät schelte meinen Kopf. Ich erzählte ihr: »Wussten Sie auch schon, dass Sie genug Energie erzeugen, um eine Tasse Kaffee kochen zu können, wenn Sie neun Jahre lang ständig brüllen?« Sie sagte: »Ist mir auch neu.« Ich sagte: »Und genau deshalb sollte man direkt neben der Achterbahn auf Coney Island einen Coffee Shop einrichten! Verstehen Sie?« Ich musste lachen, aber ich lachte allein. Sie fragte uns nach unseren Wünschen. Ich sagte: »Einen Eiskaffee, bitte.« Sie fragte: »Groß oder klein?« Ich sagte: »Vente, und könnten Sie bitte Kaffeeeiswürfel hinein tun, damit er nicht zu dünn wird, wenn die Eiswürfel schmel zen?« Sie erwiderte, dass sie keine Kaffeeeiswürfel hätten. Ich sagte: » Genau das ist der Punkt .« Mr Black sagte: »Ich komme lieber gleich zur Sache«, und das tat er. Ich ging in die Toilette und verpasste mir einen blauen Fleck.
    Ray Black saß im Gefängnis, deshalb konnten wir nicht mit ihm reden. Ich recherchierte ein bisschen im Internet und fand heraus, dass er im Gefängnis saß, weil er zwei Kinder vergewaltigt und anschließend ermordet hatte. Es gab auch Fotos der toten Kinder, und obwohl ich wusste, dass es mir bloß wehtun würde, wenn ich sie anschaute, schaute ich sie an. Ich druckte sie aus und steckte sie in mein Was-ich-erlebt-habe – Al bum, gleich hinter das Foto von Jean-Pierre Haigneré, dem französischen Astronauten, der nach der Rückkehr von der Raumstation Mir aus seinem Raumschiff getragen werden musste, weil die Schwerkraft uns nicht nur hinfallen lässt, sondern auch unsere Muskeln stärkt. Ich schrieb einen Brief an Ray Black ins Gefängnis, bekam aber nie eine Antwort. Insgeheim hoffte ich, dass er nichts mit der Sache zu tun hatte, aber ich stellte mir trotzdem vor, dass es der Schlüssel zu seiner Gefängniszelle war.
    Ruth Black hatte als Adresse das sechsundachtzigste Stock werk des Empire State Building, und das fanden sowohl ich als auch Mr Black unglaublich krass, denn wir hatten bis dahin nicht gewusst, dass dort wirklich jemand wohnte. Ich sagte Mr Black, ich hätte schreckliche Angst, und er meinte, es sei völlig in Ordnung, schreckliche Angst zu haben. Ich sagte ihm, ich hätte das Gefühl, es nicht zu schaffen, und er meinte, es sei völ lig in Ordnung, dass ich das Gefühl hätte, es nicht zu schaffen. Ich sagte ihm, dass ich vor nichts größere Angst hätte. Er meinte, das könne er gut verstehen. Ich wollte eigentlich, dass er mir widersprach, und da er es nicht tat, konnte ich mich auch nicht mit ihm streiten. Ich sagte, ich wolle unten in der Lobby auf ihn warten, und er sagte: »Gut.« »Okay, okay«, sagte ich, »ich komme mit.«
    Bei der Fahrt im Fahrstuhl hört man Informationen über das Gebäude, was ziemlich faszinierend ist, und normalerweise hätte ich mir ein paar Notizen gemacht, aber ich musste mich mit aller Kraft darauf konzentrieren, tapfer zu bleiben. Ich drückte Mr Blacks Hand, und ich konnte nicht anders, als mir unaufhörlich alles Mögliche auszumalen: Die Fahrstuhlkabel rissen, der Fahrstuhl stürzte ab, unten war ein Trampolin, wir schossen wieder nach oben, das Dach tat sich auf wie der Deckel einer Cornflakes-Packung, wir flogen in eine Ecke des Universums, über die nicht einmal Stephen Hawking Bescheid wusste …
    Als die Fahrstuhltür aufglitt, betraten wir die Aussichtsplatt form. Da wir nicht genau wussten, nach wem wir Ausschau halten sollten, sahen wir uns einfach ein bisschen um. Obwohl ich wusste, dass der Ausblick unglaublich schön ist, spielte mein Gehirn wieder verrückt, und ich sah die ganze Zeit di rekt unter uns ein Flugzeug auf das Gebäude zu sausen. Ich wollte es nicht sehen, aber ich konnte nicht anders. Ich stellte mir die letzten Sekunden vor, in denen ich das Gesicht des Pi loten sah, der ein Terrorist war. Ich stellte mir vor, wie wir ein ander in die Augen schauten, als die Nase des Flugzeugs nur noch Millimeter

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