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Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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Sie freuen, dass der Passagier durch die Notbremsen gerettet wur de.« Mr Black drückte meine Hand. »Und apropos Fahrstühle – es gibt insgesamt siebzig in diesem Gebäude, darunter sechs Lastenaufzüge. Sie erreichen Geschwindigkeiten zwischen 200 und 500 Metern pro Sekunde. Wenn Sie wollen, können Sie natürlich auch die 1.860 Stufen von der Straße bis hier oben hinaufsteigen.« Ich wollte wissen, ob man die Stufen auch hin untersteigen dürfe.
    »An einem so klaren Tag wie heute kann man achtzig Mei len weit sehen – bis nach Connecticut. Seit der Eröffnung der Aussichtsplattform im Jahr 1931 haben fast 110 Millionen Be sucher den atemberaubenden Blick auf die Stadt genossen. Je des Jahr besuchen 3,5 Millionen Menschen das sechsundacht zigste Stockwerk, um dort zu sein, wo Cary Grant in Eine denkwürdige Affäre vergeblich auf Deborah Kerr wartete und wo die schicksalhafte Begegnung zwischen Tom Hanks und Meg Ryan im Film Schlaflos in Seattle stattfand. Außerdem ist die Aussichtsplattform behindertengerecht.«
    Ruth Black verstummte und legte sich eine Hand aufs Herz.
    »Alles in allem verkörpert das Empire State Building die Atmosphäre und den Geist New Yorks. Von den Menschen, die sich hier ineinander verliebt haben, bis zu jenen, die mit ihren Kindern und Kindeskindern wieder hierher gekommen sind, ist allen bewusst, dass es sich bei diesem Gebäude nicht nur um ein Ehrfurcht einflößendes Wahrzeichen mit einem der großartigsten Ausblicke der Welt handelt, sondern auch um ein unerreichtes Symbol dessen, was Amerika zu leisten imstande ist.«
    Sie verbeugte sich. Wir klatschten.
    »Habt ihr noch eine Minute Zeit, ihr jungen Männer?« »Wir haben noch jede Menge Minuten Zeit«, sagte Mr Black. »Denn das war zwar das Ende der offiziellen Führung, aber es gibt ein paar Dinge an diesem Gebäude, die mir besonders am Herzen liegen, und ich teile sie nur mit Menschen, die meinem Gefühl nach ein echtes Interesse daran haben.« Ich erwiderte: »Wir haben ein waschechtes Interesse daran.«
    »Der schwenkbare Ankermast, inzwischen der Sockel des Fernsehturms, gehörte von Anfang an zum Gebäude. Ein Ver such, mit einem privaten Luftschiff anzudocken, verlief erfolg reich. Aber im September 1931 wäre ein Luftschiff der Marine bei einem weiteren Versuch beinahe umgekippt und hätte die Honoratioren, die dem historischen Unterfangen beiwohnten, um ein Haar vom Dach gefegt. Das Wasser aus den Ballast tanks des Luftschiffs durchnässte die Fußgänger noch mehrere Häuserblocks entfernt. Die Idee mit dem Ankermast wurde endgültig aufgegeben, obwohl sie sehr romantisch war.« Ruth setzte sich wieder in Bewegung, und wir folgten ihr. Ich fragte mich, ob sie auch weitergeredet hätte, wenn wir ihr nicht ge folgt wären. Ich wusste nicht, ob sie die Führung für uns oder für sich selbst oder aus einem völlig anderen Grund machte.
    »Während der Vogelwanderungen im Frühling und Herbst werden die Scheinwerfer, die den Wolkenkratzer anstrahlen, in nebeligen Nächten ausgeschaltet, damit die Vögel nicht die Orientierung verlieren und gegen Fenster knallen.« Ich fügte hinzu: »Jedes Jahr sterben zehntausend Vögel, weil sie gegen Fenster fliegen«, denn diese Zahl hatte ich zufällig gefunden, als ich wegen der Fenster der Twin Towers recherchiert hatte. »Das sind viele Vögel«, sagte Mr Black. »Und viele Fenster«, sagte Ruth. Ich erwiderte: »Ja, und deshalb habe ich mir ein Gerät ausgedacht, das Vögel ortet, wenn sie einem Gebäude unglaublich nah sind, und das an einem anderen Wolkenkratzer einen extrem lauten Vogelschrei auslöst, und von diesem Schrei werden die Vögel angelockt. Sie schwirren von einem Wolkenkratzer zum anderen.« »Wie beim Flippern«, sagte Mr Black. »Was ist Flippern?«, fragte ich. »Aber dann würden die Vögel Manhattan nie verlassen«, sagte Ruth. »Das wäre doch toll«, erwiderte ich, »weil man sich dann voll auf die Vogelfutter-Hemden verlassen könnte.« »Darf ich die zehntausend Vögel bei meinen künftigen Führungen verwenden?« Ich erwiderte, dass sie ja nicht mir gehörten.
    »Da es ein natürlicher Blitzableiter ist, wird das Empire State Building jedes Jahr bis zu fünfhundert Mal vom Blitz getrof fen. Bei Gewitter wird der äußere Teil der Aussichtsplattform geschlossen, aber der innere Teil bleibt offen. Die statische Elektrizität, die sich oben auf dem Gebäude aufbaut, ist so ge waltig, dass einem Elmsfeuer aus den Fingerspitzen sprühen, wenn man bei

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