Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
Vom Netzwerk:
durch New York gerade aufhielt.«
    »Hat es geklappt?« »Nicht tagsüber, das nicht. Damit ich das Licht sehen konnte, musste es schon ziemlich dunkel sein, aber sobald ich es sehen konnte, war es phantastisch. Es war, als wä ren alle Lichter in New York erloschen, alle bis auf seines. So deutlich konnte ich es sehen.« Ich fragte sie, ob sie nicht ein bisschen übertreibe. Sie sagte: »Ich untertreibe.« Mr Black sag te: »Vielleicht war es ja genau, wie sie gesagt hat.«
    »Ich kann mich noch an den ersten Abend erinnern. Ich bin hier hochgefahren, und alle schauten überallhin und zeig ten auf die Sehenswürdigkeiten. Es gibt ja so unglaublich viel zu sehen. Aber ich war die Einzige, auf die irgendetwas zeig te.« »Irgend jemand «, sagte ich. »Ja, irgendetwas, das irgend jemand war. Ich kam mir vor wie eine Königin. Ist das nicht komisch? Ist das nicht dumm?« Ich schüttelte den Kopf. Sie sagte: »Ich kam mir vor wie eine echte Königin. Wenn das Licht erlosch, wusste ich, dass er mit der Arbeit fertig war, und dann bin ich nach unten gefahren und zu ihm heimgekehrt. Nach seinem Tod bin ich wieder hier hinaufgefahren. Dumm, oder?« »Nein«, sagte ich. »Bestimmt nicht.« »Ich habe nicht nach ihm Ausschau gehalten. Ich bin ja kein Mädchen mehr. Aber ich hatte das gleiche Gefühl wie damals, als ich am Tag nach seinem Licht Ausschau hielt. Ich wusste, es war da, ich konnte es nur nicht sehen.« Mr Black trat näher an sie heran.
    »Ich habe es nicht ertragen, wieder nach Hause zu fahren«, sagte sie. Ich fragte sie, warum, obwohl ich Angst hatte, etwas Unangenehmes zu erfahren. Sie sagte: »Ich wusste doch, dass er nicht da war.« Mr Black bedankte sich noch einmal für die Führung, aber sie war noch nicht fertig. »An dem Abend habe ich mich in einer Ecke zusammengerollt, in der Ecke dort, und bin eingeschlafen. Vielleicht wollte ich von den Nacht wächtern entdeckt werden. Ich weiß es nicht. Ich bin mitten in der Nacht aufgewacht, und ich war mutterseelenallein. Es

war kalt. Ich hatte Angst. Ich ging zum Geländer. Genau dort hin. Ich war noch nie so allein gewesen. Ich hatte das Gefühl, als wäre das Gebäude plötzlich viel höher geworden. Oder als wäre die Stadt viel dunkler geworden. Aber ich war auch noch nie so lebendig gewesen. Ich war noch nie so lebendig und al lein zugleich gewesen.«
    »Ich würde Sie nicht drängen, nach unten zu fahren«, sagte Mr Black. »Wir könnten den Nachmittag ja auch hier oben verbringen.« »Ich bin komisch«, sagte sie. »Ich auch«, sagte Mr Black. »Ich bin nicht sehr unterhaltsam. Ich habe Ihnen gerade alles erzählt, was ich weiß.« »Ich bin der größte Langweiler aller Zeiten«, behauptete Mr Black, obwohl es gar nicht stimmte. »Fragen sie ihn«, sagte er und zeigte auf mich. »Stimmt«, sagte ich,»er ödet mich an.« »Sie könnten mir den ganzen Nachmit tag von diesem Gebäude erzählen. Das wäre wunderbar. Das ist mein liebster Zeitvertreib.« »Ich habe ja nicht einmal Lip penstift.« »Ich doch auch nicht.« Sie lachte kurz auf und legte sich dann eine Hand auf den Mund, als wäre sie wütend auf sich, weil sie ihre Traurigkeit vergessen hatte.
    Es war schon 14:32 Uhr, als ich die 1860 Stufen zur Lobby hinuntergestiegen war, und ich war erschöpft, und Mr Black wirkte auch erschöpft, also fuhren wir direkt nach Hause. Als wir vor Mr Blacks Tür standen – das ist erst ein paar Minuten her –, schmiedete ich schon Pläne für das kommende Wochenende, denn wir mussten nach Far Rockaway und Boerum Hill und Long Island City und, wenn noch Zeit übrig war, auch nach Dumbo, doch er unterbrach mich und sagte: »Hör zu. Oskar?« »Das ist mein Name. Nutzen Sie ihn nicht ab.« »Ich glaube, ich will nicht mehr.« »Was wollen Sie nicht mehr?« »Es war herrlich, dich zu begleiten. Ich habe jede Sekunde genossen. Du hast mich in die Welt zurückgeholt. Mehr hätte niemand für mich tun können. Aber ich glaube, ich will jetzt nicht mehr. Ich hoffe, du verstehst das.« Seine Hand war immernoch ausgestreckt, sie wartete auf meine Hand.
    Ich erwiderte: »Nein, das verstehe ich nicht.«
    Ich trat gegen seine Tür und sagte: »Sie brechen Ihr Wort.«
    Ich gab ihm einen Schubs und schrie: »Das ist unfair!«
    Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und legte den Mund an sein Ohr und schrie: »Dreckskerl!«
    Nein, ich gab ihm die Hand …
    »Und dann bin ich sofort hierher gekommen, und jetzt weiß ich nicht, was ich tun soll.«
    Als ich dem Mieter die

Weitere Kostenlose Bücher