Extrem
bleibt auf der Strecke.
Doch ist die Besorgnis über die große, vielfältige Geräuschkulisse unseres alltäglichen Lebens berechtigt? Ist sie nicht ein Zeichen unseres Fortschritts, technischer Verbesserungen, sozialer Vernetzung – die Welt ein globales Dorf, in dem es keinen Ort mehr gibt, an dem nicht alles Tag und Nacht in Bewegung ist?
Ohrenbetäubend
Wenn Schall, der sich mithilfe der Luft wellenförmig ausbreitet, auf ein Ohr trifft, so dringt er durch den Gehörgang zum Trommelfell, das er in Schwingung versetzt. Von dort gelangt er über einen komplizierten Übertragungsmechanismus ins Innenohr. Im Innenohr befinden sich 20 000 Sinneszellen, die mit kleinsten Härchen, den Zilien, ausgestattet sind. Indem diese durch den Druck des Schalls gebogen werden, lösen sie Nervenimpulse aus, die dafür verantwortlich sind, dass Informationen über das Gehörte schließlich bis zum Gehirn weitergeleitet werden. Schallwellen treffen mit unterschiedlicher Stärke auf die Zilien. Bei einem Pegel von 120 dB(A) brechen sie nach wenigen Sekunden ab und sind für immer zerstört. Es ist die wortwörtliche Schmerzgrenze und eine der Ursachen für Hörschäden.
Die Folgen von Lärm wurden lange Zeit unterschätzt. Das liegt unter anderem daran, dass zwischen einer geringen Beeinträchtigung des Hörens und vollständiger Taubheit ein langer Prozess liegt. Wir werden zunächst nur auf einzelnen Frequenzen schwerhörig – mitunter fällt uns das gar nicht auf. Dabei kann bereits eine Quietscheente am Ohr eines Säuglings einen irreparablen Schaden verursachen. Denn auch wenn die Schmerzgrenze von 120 dB(A) und mehr nur für kurze Zeit erreicht wird, gehen dabei einige Haarzellen verloren. Anders ist die Wirkung von niedrigeren Pegeln. Der Einfluss von ca. 85 dB(A) kann zu vorübergehenden Beeinträchtigungen führen, von denen das Ohr sich erholt, sobald es wieder Ruhe hat. Allerdings nur dann, wenn es sich nicht um eine permanente Belastung handelt, wie dies bei der Ausübung mancher Berufe der Fall ist, die wegen der Dauer der Belastung zur Lärmschwerhörigkeit führen.
Angriff auf den Körper
Der Lärm wirkt nicht nur auf das Ohr. Eine von der Helmholtz-Gemeinschaft 2007 veröffentlichte Broschüre mit dem Titel „Lärm macht krank“ liefert ausführliche Fakten. Stören uns „die anderen“ mit Geräuschen im Bereich von mehr als 85 dB(A), so schüttet der Körper vermehrt Adrenalin aus und sendet damit das Signal: Stress. Als Reaktion darauf beginnt das Herz schneller zu schlagen und der Blutdruck steigt. Schon eine ständige Lärmbelastung von mehr als 65 dB(A) am Tag stellt eine große Herausforderung für unser Herz-Kreislauf-System dar – ein Pegel, der vom Straßenverkehr übertroffen wird. Inzwischen gibt es Schätzungen, dass jährlich etwa 4000 Herzinfarkte allein auf den Lärm des Straßenverkehrs zurückzuführen sein könnten.Auch der Lärm, dem wir im Schlaf ausgesetzt sind, kann eine Ursache von Bluthochdruck und dem Entstehen gravierender Herz-Kreislauferkrankungen sein. Die entscheidende Grenze liegt bei ungefähr 50 db(A) vor dem Schlafzimmerfenster, die auf Dauer nicht überschritten werden sollten.
Am meisten überrascht wohl eine Studie, der zufolge die Häufigkeit von Bronchitis bei Kindern höher ausfällt, wenn sie einer kombinierten Belastung von Abgasen und Verkehrslärm ausgesetzt sind. Fiel die Lärmbelästigung weg, war die Rate von Bronchitis-Fällen bei Kindern niedriger. Schlägt Lärm sogar auf die Atemwege?
Die Welt ist lauter geworden. Es scheint, als würde unsere Gesellschaft langsam, aber sicher schwerhörig. Jeder vierte Jugendliche ist von Hörschäden betroffen, was sich als eine unmittelbare Folge der Erfindung des Walkmans erwiesen hat. Insgesamt gibt es in Deutschland 14 Millionen Hörgeschädigte. Hobbyhandwerker erzeugen an der Heimwerkerbank Pegel bis zu 100 dB(A). MP3-Player sind noch lauter. Und wer, bei einem Kinderfest zum Beispiel, Tröten und andere Kracherzeuger einsetzt, nähert sich damit Werten von bis zu 130 dB(A). Das entspricht einem startenden Düsenjet.
Folgenreich wirkt die Dauergeräuschkulisse auch in den Klassenzimmern unserer Schulen. Beim Hören von Sprache müssen wir nicht nur unwesentliche Geräusche beiseite schieben, sondern zugleich jede Silbe, die von anderen Klängen übertönt oder verschluckt wird, ergänzen. Das fordert enorm viel Aufmerksamkeit. Kinder entwickeln die zum Sprachverständnis nötigen Fähigkeiten des Filterns
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