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Extrem

Extrem

Titel: Extrem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Goedde
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eine Person „aus den Augen“, wenn der Kontakt abbricht, eine Beziehung einschläft. Wenn uns jemand tief verletzt hat, soll er uns „aus den Augen gehen“. Dabei könnten wir ihm auch auftragen: „Sprich mich nie wieder an!“
    Was wir sehen, ist da, es existiert. Was wir nicht sehen, nicht. Viele Menschen glauben nicht, was sie nur gehört haben. „Das glaube ich erst, wenn ich es gesehen habe“ – so die häufige Reaktion auf die Schilderung von Außergewöhnlichem. Höreindrücke sind fragiler: Wie oft sind wir bei Geräuschen unsicher, ob wir wirklich etwas gehört haben. War dajemand an der Tür, oder bilde ich mir das nur ein? Und wieder heißt es, um Gewissheit zu erlangen: „Geh doch mal nachsehen!“ Natürlich gibt es Gegenbeispiele; auch die Ohren sind in unserer Alltagssprache von Bedeutung (zum Beispiel sagen wir: „Das Kind hört nicht“ – und meinen damit nicht, es sei taub). Dennoch kommt dem Sehen vor allen anderen Sinnen eine übergeordnete Rolle zu. Schon im Altgriechischen hatte oida (οἶδα) zwei Bedeutungen: „ich habe gesehen“ und „ich weiß“, und diese Übereinstimmung zieht sich bis heute durch unsere Sprache. Zum Beispiel ist „etwas einsehen“ gleichbedeutend mit „etwas verstehen“. „Oh, I see“ – sagen die Engländer. Und meinen damit: „Aha, ich verstehe.“
Die Welt, auf den Kopf gestellt
    Zu den Merkwürdigkeiten des Sehens gehört es, dass die Welt in unseren Augen auf dem Kopf steht. Visuelle Eindrücke entstehen, indem Lichtstrahlen auf unser Sehorgan treffen. Deshalb sehen wir nichts, wenn es dunkel ist. Sobald Licht vorhanden ist, wird es von den Gegenständen reflektiert, seine Strahlen treffen auf die Linse und projizieren das Bild des Gesehenen auf die Netzhaut. Nur steht dieses Bild, wie der Physiker Johannes Kepler schon 1604 herausfand, auf dem Kopf. Das liegt daran, dass die Lichtstrahlen sich in der Linse kreuzen. Das Gehirn korrigiert das Bild auf der Netzhaut wieder, dreht es gewissermaßen um und vermittelt uns die Wahrnehmung des aufrechten Sehens. Diese Entdeckung verblüffte die Forscher, und sie fragten sich jahrhundertelang, was der Grund für die komplizierte Umkehrung der Verhältnisse sein könnte. Würden wir, wenn das Auge die Dinge nicht auf den Kopf stellte, die Welt nicht mehr aufrecht sehen?Fast dreihundert Jahre später beantwortete der amerikanische Psychologe George Stratton (1865 – 1957) diese Frage, indem er sich einem Versuch unterzog, der ihn zunächst gehörig ins Wanken brachte. Er konstruierte eine Brille, deren Prismen dafür sorgten, dass das Bild umgekehrt wurde. Und zwar so, dass nur oben und unten, nicht aber rechts und links vertauscht waren. Durch die Umkehrbrille kam das Bild auf der Netzhaut gerade an, denn die Linse des Auges stellte es ja noch einmal auf den Kopf. Stratton trug die Brille sieben Tage hintereinander, um herauszufinden, ob sich sein Gehirn an ein „gerades“ Sehen gewöhnen würde. In den ersten Tagen konnte er sich nur tastend vorwärtsbewegen und seine eigenen Gliedmaßen nur bei geschlossenen Augen orten – wenn er hinschaute, suchte er seinen Mund beispielsweise über den Augen. Nach der Zeit von sieben Tagen begann sein Gehirn jedoch tatsächlich, sich an das verkehrte Sehen anzupassen. Denn, so weiß man inzwischen, erst das Zusammenspiel verschiedener Sinne führt zu unserer Wahrnehmung des aufrechten Sehens. Nach ungefähr einer Woche wusste Stratton wieder, wo sich seine Arme und Beine befanden, und er konnte sich mit offenen Augen bewegen, ohne auf den Treppenstufen seines Hauses zu stürzen. Das Ergebnis des Experiments ist erstaunlich: Es zeigt, dass unser Gehirn zur Adaption fähig ist – zur Anpassung an die gegebenen Verhältnisse.
    Die Anpassung an die Lebensbedingungen ist das Prinzip der Evolution, das Charles Darwin im 19. Jahrhundert entdeckte. Aus der Tierwelt wissen wir, dass die Besonderheiten bestimmter Umgebungen bei einigen Arten zur Ausbildung hochspezialisierter Sinnesorgane geführt haben. Um sich an ihre Lebenswelt anzupassen, entwickelten Haie und Aale einen Sinn, mit dem sie elektrische Felderwahrnehmen. Indem sie elektrische Signale von anderen Tieren aufnehmen und eigene aussenden, kommunizieren sie untereinander und orientieren sich, besonders bei der Jagd und wenn sie sich verteidigen müssen. Zugvögel hingegen finden ihren Weg auf den Langstreckenflügen von einer Erdhalbkugel zur anderen, indem sie die Magnetfelder der Erde erspüren –

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