Extrem
Wüste für ein Land nicht genug, kommt hinzu, dass die Überreste des Kernkraftwerks auch Jahrzehnte nach dem Unfall noch aufwändiger Wartung bedürfen. Bis heute müssen sich 3000 Arbeiter permanent um das zerstörte AKW kümmern. 3000 Personen, die sich immer wieder der Strahlung aussetzen, um die Sperrzone unter Kontrolle zu halten. Unter anderem betreiben und überwachen sie die Kühlsysteme, die notwendig sind, solange die Brennstäbe der inzwischen abgeschalteten Reaktoren nicht in einem Endlager entsorgt werden können. Würden die Kühlsysteme ausfallen oder es beispielsweise bei 45 Grad Hitze im Sommer zu einem Waldbrand kommen, bestünde die Gefahr einer erneuten Kernschmelze. Außerdem muss nun, nach 25 Jahren, ein neuer „Sarg“ über dem explodierten Reaktor errichtet werden. Denn immer noch herrscht dort eine Strahlung, dietausendfach über dem Normalwert liegt, und der alte Betonschutz, der nach dem Unglück über die Kraftwerkruine gegossen wurde, ist inzwischen brüchig. Der neue Betonkasten wird 110 Meter hoch und 260 Meter breit sein – ein gigantisches Bauwerk, das zwei Milliarden Euro kosten soll. Im innersten Kreis, in unmittelbarer Nähe zum explodierten Reaktor, durfte ich mich als Besucher, der nur mit Sondergenehmigung überhaupt so weit in das Katastrophengebiet vorgelassen wurde, nicht länger als zehn Minuten aufhalten.
Radioaktive Substanzen sind ein unsichtbares Gift, das, ist es erst einmal freigesetzt, alles durchdringt: Bäume zum Beispiel nehmen radioaktives Cäsium aus dem Boden auf, strahlende Partikel landen in den Blättern, die im Herbst auf die Erde fallen. So gelangt das radioaktive Material schließlich über den Regen wieder in den Boden und das Grundwasser. Dort saugen die Pilze es auf wie Schwämme, und auch die Fische sind verseucht. Und das noch für die nächsten 20 000 Jahre, glaubt der Biologe Leonid Bogdan, der in der Sperrzone um Tschernobyl die Strahlungswerte von Lebensmitteln analysiert und gerade bei Fischen immer noch eine tausendfach erhöhte Strahlung vorfindet.
Doch die Geschichte von Tschernobyl enthält noch ein anderes, besonders trauriges Kapitel: Die Armut der ukrainischen Bevölkerung veranlasste in den 25 Jahren seit dem Unfall immer wieder Plünderer dazu, in die Sperrzone einzudringen, um Material, insbesondere wertvolles Metall, zu stehlen und es auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Die Metallteile – Schrauben, Bolzen, Bleche –, die in der Ruine von Prypjat oder aber auf dem Autofriedhof gefunden werden, strahlen immer noch das 20-Fache, manchmal das 100-Fache des Normalwertes aus. Über den Schwarzmarkt verbreitet,sind diese Teile hochgefährlich. Sie bedrohen insbesondere die Kinder, die die Strahlung wesentlich schlechter als Erwachsene verkraften und deshalb nicht einmal in die Nähe der Sperrzone gelassen werden.
Radikale Gefahr
Bestimmte Formen der Strahlung, sehr kurze, elektromagnetische Wellen oder Teilchen, beschießen und zerstören die Zellen des Körpers. Doch wie funktioniert das genau? Die so gefährliche Strahlung, ionisierende Strahlung genannt, kann aus den Atomen oder Molekülen von Zellen Elektronen herauslösen und lässt dabei (positiv) geladene Ionen und Molekülreste zurück. Die ursprüngliche Struktur der Moleküle zerbricht und verliert ihre Funktion. Dadurch werden im Körper sogenannte Radikale freigesetzt: Atome oder Moleküle, die besonders gefährlich sind, da sie die Zellen zerstören.
In der Krebstherapie nutzt man diese Wirkung der Strahlung, um schädliche Tumorzellen abzutöten. Doch diese Therapie stellt auch für die gesunden Teile des Körpers eine große Belastung und ein hohes Risiko dar. Dasselbe gilt für die ebenfalls in der Medizin eingesetzte Röntgenstrahlung, die dazu dient, den Körper zu durchleuchten. Deshalb wird dieses Verfahren nur vorsichtig eingesetzt, und Organe und Weichteile werden während der Bestrahlung mit Bleiumhängen geschützt. Immerhin 1,8 Mikrosievert (mSv) pro Jahr bekommt unser Körper durch den Einsatz radioaktiver Bestrahlungsmethoden in der Medizin zu spüren. Jeder Deutsche wird im Schnitt 1,8 Mal pro Jahr geröntgt, Tendenz allerdings sinkend. Was den meisten nicht bekannt ist: Die Untersuchungsmethode der Computertomographie, die seltener zum Einsatz kommt als das Röntgen, weist eine deutlich höhere Strahlenbelastung auf.
Zur Messung der Strahlung hat man einen Faktor, die Sievert-Zahl, eingeführt, bei deren Ermittlung berücksichtigt wird, dass
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