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Extrem

Extrem

Titel: Extrem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Goedde
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dass Affen ihre Artgenossen mit einem falschen Lachen bewusst manipulierten, also quasi lügen würden. In ihrer Ehrlichkeit stimmen sie mit Menschenkindern überein – und unterscheiden sich damit von Erwachsenen.
    Auch andere Tiere lassen sich von ihren Pflegern gern kitzeln, um dann ebenfalls vor Vergnügen zu lachen beziehungsweise zu pfeifen. Laborratten der Bowling Green State University von Ohio stoßen schnelle, hohe Pfeiftöne aus, allerdings in einem Bereich, der für das menschliche Ohr nicht mehr zu hören ist (50 Kilohertz). Der Psychologe Jaak Panksepp sieht auch im Lachen seiner Ratten eine soziale Funktion – sie reagieren auf ihr Gegenüber, das mit ihnen spielt. Auch bei uns Menschen geht es ja nur zu 20 Prozent um das Lachen über einen Witz oder eine lustige Begebenheit. Meist werden Lacher oder ein Lächeln in ganz normale Gespräche eingebaut, so Panksepp, und sei es bei Fragen wie: „Geht es Ihnen gut?“ oder „Schmeckt es Ihnen?“ Mit diesem beigesteuerten Lächeln versicherten wir uns der Zustimmung unseres Gesprächspartners.
Wer lächelt, lästert Gott
    Wer hätte gedacht, dass sich eine soziale Geste wie das Lachen eigentlich aus einer Drohgebärde entwickelt hat, die besagt: Halt dich zurück, sonst wird’s gefährlich! Für gefährlich hat auch der Mensch im Mittelalter das Lachen erklärt. Zwar ging es hier nicht mehr um die Demonstration körperlicher Stärke, sehr wohl aber um die Demonstration von Macht. In gewissem Sinne trifft dies noch bis heute zu, denn der humorvolle Mensch kann persönlichen Rückschlägen mit mehr Abstand begegnen, wenn er in der Lage ist, über sich und seine Situation zu lachen. Er ist denen überlegen, die das nicht können. Humor stattet den klugen Menschen mit der Macht der Erkenntnis aus. Lachen bedeutet, der Tragik der Welt mit heiterer Gelassenheit zu begegnen. Und es steht für geistige Reife und Leistungsfähigkeit, denn eine Grenzüberschreitung zwischen Ernst und Spaß wird vom humorvollen Menschen willentlich vollzogen.
    Im Mittelalter aber wurden genau diese geistige Reife und Unabhängigkeit als bedrohlich angesehen. Ein Mittelalter-Klassiker der achtziger Jahre, der historische Kriminalroman Der Name der Rose von Umberto Eco, befasst sich mit der vermeintlichen Bedrohung, die von einem harmlosen Lachen ausgeht. Eco erzählt, wie der Franziskanermönch William von Baskerville (in der Verfilmung gespielt von Sean Connery) gemeinsam mit seinem jungen Novizen Adson eine mysteriöse Mordserie in einer Benediktinerabtei aufklärt. Gemeinsam kommen sie einem düsteren Geheimnis auf die Spur: Die Todesursache aller umgebrachten Ordensbrüder ist nichts anderes als die menschliche Neugier. Alle kurz nacheinander verstorbenen Mönche hatten ihre Nase – beziehungsweise ihre Finger – in ein geheimnisvolles, verbotenes Buch gesteckt. Was sie nicht wussten: Die Ränder der Buchseiten waren mit einem tödlichen Gift bestrichen worden. Da sie alle zum Umblättern der Seiten ihren Zeigefinger anleckten, bedeutete diese unbewusste Geste für sie kurze Zeit später das Ende.
    Bei dem verbotenen Buch handelt es sich um nichts weniger als eine Ausgabe des verloren gegangenen Zweiten Buchs der Poetik von Aristoteles, das wiederum nichts weniger als eine Generalanleitung zum Lachen, nämlich die Gebrauchsanweisung zum Schreiben von Komödien, enthält.
    Warum aber sollte den armen Mönchen, die bei ihrem asketischen Klosterleben ohnehin schon wenig zu lachen haben, das Lachen verwehrt werden? Für den greisen Klosterbibliothekar Jorge, der hinter den grausamen Morden steckt, ist Humor Gotteslästerung: Wer lacht, mache sich über die Furcht erhaben. Und ohne Furcht – man höre und staune – gebe es keinen Glauben. Wer aber den Teufel nicht mehr fürchte, der brauche auch keinen Gott mehr. Beziehungsweise: Der würde am Ende sogar über Gott lachen. Kurzum: Wer lacht, hat die Macht – weshalb Jorge mit aller Gewalt versucht, seine Brüder im Glauben von dieser Macht fernzuhalten.
    Glücklicherweise hat unser Gottesbild im Zuge der europäischen Aufklärung eine Wandlung erfahren. Wegen einer Vorstellung von einem freundlichen Gott, der sich über lachende Menschen freuen kann, landet heute, zumindest in unseren Breitengraden, niemand mehr auf dem Scheiterhaufen, im Gegenteil: Lachen beziehungsweise ein guter Sinn für Humor ist ein sicherer Indikator dafür, dass wir in der Lage sind, uns selbst, aber auch unsere Umwelt nicht allzu ernst zu nehmen.

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