Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Extrem

Extrem

Titel: Extrem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Goedde
Vom Netzwerk:
ist es bei Drohgebärden zwischen jenen Staaten geblieben, die über Kernwaffen verfügen.
    Seit den 1960er Jahren wird die auf der Kernspaltung beruhende Technologie zur Gewinnung von Energie auf sogenannte „zivile“, das heißt nicht militärische Weise genutzt. Sie gilt als besonders sauber, weil nur sehr wenige Abfallprodukte entstehen, die den Treibhauseffekt der Atmosphäre verstärken – anders als zum Beispiel bei der Verbrennung von Öl und Kohle. Doch spätestens seit den Unfällen in Tschernobyl und Fukushima wissen wir, dass auch die zivile Nutzung der Kernenergie die Gefahr birgt, der Zivilisation ein Ende zu bereiten – ganz ohne kriegerische Absichten von Staatsmännern.
    Radioaktive Substanzen befinden sich in einem Umwandlungsprozess, der so lange andauert, bis das Element durch die neue Bindung von Elektronen wieder stabil ist. Und dieser Prozess benötigt sehr viel Zeit: Plutonium beispielsweise hat eine Halbwertszeit von mehr als 24 000 Jahren. Es ist unmöglich, den Zerfall zu stoppen oder zu beschleunigen, und deshalb unmöglich, die in den Kernkraftwerken künstlich erzeugte Strahlungsenergie abzuschalten. Gegen die Strahlung radioaktiven Abfalls, der in Kernkraftwerken entsteht, gibt es deshalb kaum ein anderes Mittel als den Schutz von meterdicken Beton- und Erdwällen. Doch auch die Einrichtung von Lagern, wie im Salzbergwerk bei Gorleben, das jahrelang als wahrscheinlichstes deutsches Endlager für Atommüll galt, ist mit großen Schwierigkeiten verbunden.
    Da ist zum einen die Angst der Anwohner, die großen Zweifel an der Stabilität des Salzstocks hegen und befürchten, dass es zu einer Katastrophe in ihrer Heimat kommt. Eine Angst, die mehr als berechtigt ist. Im Dezember 2011 erschien – in einer langen Reihe von ähnlichen Studien – ein geologisches Gutachten, dem zufolge durchaus Gefahr durch den Atommüll im Salzstock besteht: Eskönnte zu einer Explosion des in den Erdschichten enthaltenen Gases kommen, und dann würde das in Castorbehältern verschlossene strahlungsaktive Material freigesetzt. Die Suche nach besser geeigneten Endlagern in Deutschland hat jedoch noch nicht einmal ernsthaft begonnen – zum einen, weil diese Suche selbst schon sehr teuer ist, zum anderen, weil unklar ist, ob es völlig risikofreie Orte für die Lagerung von Atommüll überhaupt gibt.
    Ebenso problematisch ist die Frage, wie gewährleistet werden kann, dass die Menschen auch in Hunderttausenden von Jahren noch wissen, wo die hochgiftigen Substanzen vergraben sind. Damit beschäftigt sich ein besonderer Zweig der Wissenschaft von den Zeichen – der Semiotik –, der sich Atomsemiotik nennt. Thema der Atomsemiotik ist die Frage, wie das Wissen darum, dass irgendwo hochgiftiger Müll lagert, über den astronomisch langen Zeitraum von hunderttausend Jahren weitergegeben werden kann. Welche Zeichen sich also dafür eignen, dieses Wissen im wahrsten Sinne des Wortes „zu verewigen“. Zum Vergleich: Die ältesten überlieferten Schriftzeichen, die wir kennen, sind gerade mal an die 6000 Jahre alt. Unsere Erfahrung mit der Aufbewahrung von Informationen für die Nachwelt reicht also bisher nicht annähernd an die Zeiträume des Verfalls von radioaktivem Müll heran.
Vergiftete Landschaften
    Die eigentlich tragische Dimension von Reaktorunfällen, wie sie sich in Tschernobyl und Fukushima ereignet haben, besteht darin, dass diese Gebiete für immer verloren sind. Zurück bleiben vergiftete Wüsten, die nicht wieder bewohnt werden können. Erdbeben, Tsunamis, Feuer undHochwasser – die Städte und Landstriche, die solchen Katastrophen anheimfallen, lassen sich hinterher wieder aufbauen. Die Verluste sind dabei hoch genug, doch das Land bleibt bewohnbar. Nach Atomunfällen bietet sich ein anderes Szenario: Das Gebiet um Tschernobyl, das ich als Journalist im Februar 2011, wenige Wochen vor den Ereignissen in Fukushima, besucht habe, ist heute eine Sperrzone. Sie wurde in einem Umkreis von 30 Kilometern um den explodierten Reaktor IV gezogen, mit einem Sperrzaun von insgesamt 180 Kilometern Länge. Im Inneren der Zone liegt, neben vereinzelten Dörfern, die Stadt Prypjat, die 48 000 Einwohner hatte, bevor sie durch den Reaktorunfall zu einer Geisterstadt wurde. Einige ältere Menschen sind in den Jahren nach dem Unglück in ihre Häuser zurückgekehrt, weil sie die Entwurzelung nicht verkraftet haben. Doch ihnen wird keine nächste Generation mehr folgen.
    Als sei die Existenz einer vergifteten

Weitere Kostenlose Bücher