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Exzession

Exzession

Titel: Exzession Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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nicht. Also, war
sie es oder nicht? War es wirklich eine Mission des Kontakts oder gar
der BG, in der sie unterwegs war – wie sie es sich seit ihrer
Kindheit erträumt, in ihren wildesten Phantasien ausgemalt hatte
–, oder war es lediglich ein außerplanmäßiger
Trick, vielleicht sogar irgendeine Prüfung?
    Sie biß ins Kissen, und die besondere Struktur des Materials
in ihrem Mund und zwischen ihren Zähnen und das Gefühl,
daß ihr Gesicht aufgedunsen war, während ihre Augen vor
Tränen brannten, brachten sie wieder in die Kindheit
zurück.
    Sie hob den Kopf, leckte sich die salzige Flüssigkeit von den
Lippen und schniefte und schnaubte dann sowohl die Tränen als
auch den Rotz zurück, der ihre Nase füllte. Sie erwog, sich
etwas Ruhig einzudrüsen, entschied sich dann jedoch dagegen. Sie
atmete ein paarmal tief durch, drehte sich dann schwungvoll auf dem
Bett herum und betrachtete sich in dem Umkehrer, wobei sie das Kinn
dem scheußlichen Bild entgegenhob, das er zeigte, und erneut
schniefte und sich mit den Händen übers Gesicht wischte und
schwer schluckte und ihr Haar nach hinten strich (wenigstens das
hatte so bleiben können, wie es gewesen war) und wieder
schniefte und sich selbst in die Augen sah und sich verbot, zu weinen
oder den Blick abzuwenden.
    Nach einigen Minuten waren ihre Wangen getrocknet, und ihre Augen
wurden allmählich wieder klar und verloren ihre rote
Aufgequollenheit. Sie war nach ihren eigenen hohen Ansprüchen
immer noch abschreckend häßlich und sogar
mißgestaltet, aber sie war kein Kind mehr, und im Innern war
sie immer noch dieselbe Person. Ach ja. Wahrscheinlich tat es ihr
ganz gut, ein wenig zu leiden.
    Sie war immer verwöhnt worden; in der Vergangenheit waren all
ihre Schwierigkeiten selbstauferlegt und entspannend gewesen. Sie war
hungrig und ungewaschen gewesen, wenn sie an irgendeinen primitiven
Ort gewandert war, aber am Ende des Tages hatte es immer etwas zu
essen gegeben und eine Dusche oder zumindest ein Schälspray, um
Schmutz und Schweiß zu entfernen.
    Selbst der Schmerz dessen, was sich gelegentlich wie ein unheilbar
gebrochenes Herz angefühlt hatte, hatte sich letztendlich als
weniger dauerhaft erwiesen, als sie es sich anfangs vorgestellt
hatte; die Erkenntnis, daß der Geschmack eines Jungen derart
grotesk abartig war, daß er jemand anderen ihr vorziehen
konnte, verringerte in jedem Fall sowohl die Intensität als auch
die Dauer ihres Kummers, von dem ihr Herz verlangte, daß sie
ihn ertrug, um einem solchen unfaßbaren Verlust gerecht zu
werden.
    Sie hatte immer gewußt, daß es zu wenige echte
Herausforderungen in ihrem Leben gab, zu wenige wahrhaftige Gefahren;
alles war zu leicht gewesen, selbst nach Kultur-Maßstäben.
Ihre Lebensweise und ihre materiellen Voraussetzungen auf Phago
hatten sich im wesentlichen zwar nicht von denen anderer Personen
ihres Alters unterschieden, nämlich aufgrund dessen, daß
die Kultur so unglaublich gleichmacherisch war, doch der geringe Rest
an hierarchischem Instinkt, den sich die Bevölkerung des Felsens
erhalten hatte, manifestierte sich in Form einer bestimmten
Auszeichnung, einer Art Qualitätssiegel dafür, daß
man einer der Gründerfamilien angehörte.
    In einer Gesellschaft, in der es möglich war, so auszusehen,
wie immer man auszusehen wünschte, jede Begabung zu erwerben,
die man zu erwerben wünschte, und Zugriff auf so viel Besitz zu
haben, wie man nur ersehnen mochte, war man sich allgemein einig
darüber, daß die einzigen Eigenschaften, denen ein
besonderes Interesse zukam, diejenigen waren, die nicht einfach so zu
erlangen waren, wie zum Beispiel die Qualifikation für den
Eintritt in den Kontakt und die Besonderen Gegebenheiten oder der
Umstand, daß man sich auf eine familiäre Verbindung zu den
Anfängen der Kultur berufen konnte.
    Selbst die berühmtesten und begnadetsten Künstler –
gleichgültig, ob ihre Talente angeboren oder erworben waren
– wurden nicht im selben Glorienschein gesehen wie Mitglieder
des Kontakts (und, wie es einem wirklich alten Ort wie Phago zukam,
die direkten Abkömmlinge der Gründer). Ein berühmter
Künstler zu sein, bedeutete in der Kultur im besten Fall,
daß es hingenommen wurde, daß man eine gewisse mutige
Entschlossenheit besaß; im schlimmsten Fall wurde es allgemein
als Hinweis auf eine bedauernswert archaische Form der Unsicherheit
und den ziemlich kindischen Wunsch nach auffälliger
Selbstdarstellung betrachtet.
    Da beinahe keine Abgrenzungen im sozialen

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