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Exzession

Exzession

Titel: Exzession Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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selten
vorgekommen war), sie hatte sich schrecklich einsam gefühlt,
ausgesetzt und verletzlich, damals, als sie das erste Mal
draußen unter den Sternen auf einem Planeten gelagert hatte und
etliche ihrer Schoßtierchen gestorben waren – aber nichts
davon war so schlimm gewesen wie das hier.
    Sie hob das von Tränen gezeichnete Gesicht von dem
durchnäßten Kissen und betrachtete erneut ihr Spiegelbild
in dem Umkehrfeld in dem begehbaren Schrank auf der anderen Seite der
entsetzlich kleinen Kabine. Sie erblickte wieder ihr Gesicht und
heulte erschreckt auf, um gleich darauf den Kopf wieder im Kissen zu
vergraben und unter der Unterdecke mit den Füßen zu
strampeln, während diese wie ein Wackelpudding in dem AG-Feld
schwappte bei dem Versuch, die Stöße abzufangen.
    Ihr Gesicht war verändert worden. Im Schlaf, während der
Nacht, nachdem sie einen Tag von Phago weg war. Ihr Gesicht, ihr
wunderschönes, herzförmiges, herzgewinnendes,
herzschmelzendes, herzzerbrechendes Gesicht, das Gesicht, das sie
stundenlang ununterbrochen im Spiegel oder einem Umkehrfeld
betrachtet hatte, zu einer Zeit, als sie alt genug war, daß
ihre Drogendrüsen das Richtige taten, und jung genug, daß
sie damit herumexperimentieren konnte, dieses Gesicht, in dessen
Anblick sie sich immer wieder und wieder versenkt hatte, nicht weil
sie bekifft gewesen wäre, sondern weil es so verdammt hübsch war… ihr Gesicht war so verändert
worden, daß sie wie jemand anderer aussah. Und es gab noch
etwas Schlimmeres.
    Vielleicht tat es noch ein wenig weh, wenn sie den Schmerz nicht
ausschaltete, aber das war es nicht, was so schlimm war; schlimm war,
daß ihr Gesicht a) aufgedunsen, geschwollen und entfärbt
war, nachdem die Nanotechs ihre Arbeit verrichtet hatten; b) nicht
mehr ihr Gesicht und c) älter war. Die Frau, der sie
ähnlich sehen sollte, war älter als sie! Viel älter!
Sechzig Jahre älter!
    Die Leute behaupteten, daß niemand in der Kultur zwischen
ungefähr fünfundzwanzig und zweihundertundfünfzig sich
äußerlich wesentlich veränderte. Dann fände eine
langsame, aber sichere Alterung bis zur Dreihundertfünfzig- oder
Vierhundert-Marke statt, bis zu dem Zeitpunkt, da das Haar weiß
geworden – oder ausgefallen – war, die Haut runzelig wie
die Hoden eines Basis-Menschen und die Titten einem auf den Bauch
herabschwabbelten (pfui!), aber sie hatte immer sagen können,
wie alt jemand war; sie lag kaum jemals mehr als fünf oder zehn
Jahre daneben – jedenfalls niemals mehr als zwanzig –, und
sie sah jetzt, wie alt sie jetzt war, selbst unter den
Schwellungen und schattendunklen Prellungen, sie sah, wie sie
aussehen würde, wenn sie älter wäre, und es machte
keinen Unterschied, daß es nicht ihr eigenes Gesicht war, es
machte keinen Unterschied, daß sie wahrscheinlich viel besser
aussehen würde als im jetzigen Zustand, wenn sie Mitte der
Achtzig wäre (sie hatte Bilder von der Haus-KI anfertigen
lassen, 99,9prozentig sichere Projektionen, die für zwei
Jahrhunderte im voraus genau zeigten, wie sie in jedem
Jahrzehnt aussehen würde, und darauf sah sie toll aus);
entscheidend war, daß sie alt und schlampig aussah, und dadurch
fühlte sie sich alt und schlampig, und dieses Gefühl und
dieses Benehmen und deshalb auch dieses Aussehen würden
vielleicht nicht wieder weggehen, wenn ihr ihre normale, ihre
natürliche, ihre eigene äußere Erscheinung
zurückgegeben würde.
    Diese Sache lief überhaupt nicht so, wie sie gehofft hatte;
keine Freunde, keine Schmusetierchen, kein Vergnügen, und je
mehr sie darüber nachdachte, desto gefährlicher erschien
ihr das Ganze, desto unsicherer war sie sich, auf was sie sich
eingelassen hatte. Das Ganze sollte angeblich ein Abenteuer sein,
aber dieser Teil auf dem Schiff war einfach nur langweilig, und die
Rückreise würde genauso sein, und dazwischen mochte wer
weiß was liegen. Jeder wußte, wie unaufrichtig die BG
waren; was führten sie wirklich im Schilde, was sollte sie
wirklich für sie tun? Selbst wenn es sich herausstellen sollte,
daß es irgendwie aufregend sein und vielleicht sogar Spaß
machen würde, würde ihr nicht erlaubt sein, mit irgend
jemandem darüber zu sprechen; und welchen Sinn hatte ein
Spaß, wenn man davon später nichts erzählen
konnte?
    Natürlich konnte sie anderen Leuten davon erzählen, aber
dann wäre es unmöglich, daß sie weiterhin dem Kontakt
angehörte. Verdammt, Churt hatte sich sehr doppelsinnig zu der
Frage geäußert, ob sie nun drin war oder

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