Exzession
Ulver Dajeil.
»Angeblich soll er ein guter Bekannter von mir sein«,
sagte die ältere Frau achselzuckend. »In Wirklichkeit ist
er eine Plage.«
Ulver nickte mitfühlend und wandte sich wieder ihrem Buch
zu.
Dajeil bestellte Essen für zwei; ein Sklaventablett erschien
mit Tellern, Schüsseln, Kannen und Bechern. Einige
bodengängige Dienstbarkeiten tauchten auf und machten sich
daran, den Schutt wegzuräumen, der von Ulvers plötzlichem
Displacer-Transfer von der Grauzone zu der Trübe
Aussichten zurückgeblieben war; das federleichte
Füllmaterial aus den Kissen erwies sich als besonderes Problem.
Das Serviertablett legte die Gedecke auf dem Tisch auf und verteilte
die Schüsseln mit Essen; Dajeil beobachtete schweigend die
anmutige, geschickte Gestaltung der Tafel. Ulver Seich starrte
konzentriert in ihr Buch und schlug eine Seite um. Dann erschien eine
Sklavendrohne des Schiffs. Sie schwebte an Dajeils Schulter vorbei.
»Ja?« sagte sie.
»Wir verlassen jetzt den Laderaum«, ließ die Trübe Aussichten sie wissen. »Die Reise zur
Außenhülle des ASF wird zweieinhalb Minuten
dauern.«
»Aha. Okay. Danke«, sagte Dajeil.
Ulver Seich sah von ihrem Buch auf. »Würdest du
freundlicherweise die Grauzone bitten, meine Sachen hierher zu
transferieren?«
»Schon geschehen«, sagte die Drohne, die sich bereits
zur Treppe bewegte.
Ulver nickte wieder, legte das Lesezeichen an die aufgeschlagene
Stelle im Buch, klappte dasselbe zu und legte es neben ihren
Teller.
»Nun, Miss Gelian«, sagte sie und schlug mit den flachen
Händen auf den Tisch. »Wie es scheint, sind wir
Reisegefährtinnen.«
»Ja«, antwortete Dajeil. Sie legte sich etwas Essen vor.
»Bist du schon lange mit Byr zusammen, Miss… Seich, so war
doch der Name, oder?« fragte sie.
Ulver nickte. »Ich habe ihn erst vor ein paar Tagen
kennengelernt. Man hat mich mit dem Auftrag losgeschickt, zu
verhindern, daß er hierherkommt. Es hat nicht geklappt.
Schließlich saß ich zusammen mit ihm auf einem winzigen
Modul fest. Nur wir beide und eine Drohne. Vier Tage lang. Es war
abscheulich.«
Dajeil reichte Ulver einige der Schüsseln.
»Trotzdem«, sagte sie und lächelte verzerrt, »bin
ich sicher, daß die Romantik ihre Blüten trieb.«
»Wie verrückt«, bestätigte Ulver und
häufte einige Scheiben Sonnenbrot aus einer Schüssel auf
ihren Teller. »Ich konnte den Kerl nicht ausstehen. Erst in den
letzten paar Nächten habe ich mit ihm geschlafen. Zum Teil aus
Langeweile, nehme ich an. Dennoch, er ist ganz ansehnlich. Ein
ziemlicher Charmeur, das muß man sagen. Ich verstehe durchaus,
was du an ihm gefunden hast. Also, was ist zwischen euch beiden
schiefgelaufen?«
Dajeil hielt mitten in ihrer Bewegung inne, einen Löffel auf
halbem Weg zum Mund in der Schwebe haltend. Ulver schenkte ihr ein
entwaffnendes Lächeln, während sie nebenher einen Mundvoll
Frucht zwischen den Kiefern zermalmte.
Dajeil aß, nahm einen Schluck Wein und tupfte sich die
Lippen mit einer Serviette ab, bevor sie antwortete. »Es
überrascht mich, daß du nicht die ganze Geschichte
kennst.«
»Wer kennt denn schon jemals die ganze Geschichte?«
sagte Ulver lässig und schwenkte die Arme ausholend durch die
Luft. Dann stützte sie die Ellbogen auf den Tisch. »Ich
wette, nicht einmal ihr beide kennt die ganze Geschichte«, sagte
sie, diesmal leiser und besonnener.
Wieder nahm sich Dajeil Zeit, bevor sie antwortete.
»Vielleicht ist es die Geschichte gar nicht wert, daß man
sie ganz kennt«, sagte sie.
»Das Schiff ist anscheinend dieser Meinung«, erwiderte
Ulver. Sie probierte etwas von dem fermentierten Fruchtsaft, indem
sie ihn in der Mundhöhle herumschwenkte, bevor sie ihn
hinunterschluckte, und sagte: »Anscheinend hat es ziemlich viel
Mühe auf sich genommen, um ein Treffen zwischen euch beiden
zustande zu bringen.«
»Ja. Nun, es ist schließlich ein Exzentriker, nicht
wahr?«
Ulver dachte darüber nach. »Ein sehr intelligenter
Exzentriker«, sagte sie. »Ich könnte mir vorstellen,
daß etwas, das es mit solcher Hingabe verfolgt, vielleicht
ziemlich – du weißt schon – die Sache wert ist. Oder
nicht?« fragte sie mit selbstverächtlicher Miene.
Dajeil zuckte die Achseln. »Auch Schiffe können sich
irren«, sagte sie.
»Was, dann ist das alles ganz ohne Bedeutung?« sagte
Ulver leichthin, während sie ein kleines Brötchen aus einem
Korb auswählte.
»Nein«, sagte Dajeil. Sie blickte nach unten und strich
sich das Kleid über dem Bauch glatt.
Weitere Kostenlose Bücher