Exzession
es Faser um Faser zerfetzten und zerpflückten, das
letzte Quantum ihrer Persönlichkeit, ihres Verstandes und ihrer
Sinne auseinandernahmen und abtöteten. Es sah so aus, als ob
mindestens ein Dutzend Affronter an Bord gewesen wären. Auch sie
waren tot, getötet von abtrünnigen
Selbstzerstörungsstrahlen des Gehirns.
Die Totgeschlagene Zeit empfand ein Quentchen Schuld, ja
sogar Selbstekel wegen der Dinge, die sie einem Schiff angetan hatte,
das in gewisser Weise immer noch ein Schwesterschiff war,
während ein anderer Teil ihres Egos sich an den Qualen des
sterbenden Fahrzeugs ergötzte und sich bereits in dem zu
erwartenden Ruhm sonnte.
Die sentimentale Seite gewann die Oberhand; sie feuerte aus ihren
beiden Antriebskammern eine geballte Ladung Plasma auf das schwer
mitgenommene Schiff und hielt ein paar Augenblicke lang Stellung bei
der sich ausbreitenden Strahlungssphäre, um dem
Verräterschiff das bißchen Achtung zu zollen, das ihm
gebührte.
Die Totgeschlagene Zeit gelangte zu einer Entscheidung. Sie
sandte ein Signal an die Stählerner Glanz und setzte das
AKF davon in Kenntnis, daß sie von nun an Vorschläge und
Anregungen anzunehmen bereit sei. Sie würde die Kriegsflotte
auslöschen, wenn das nötig sein sollte, oder sie würde
sich jeglicher Formation anschließen, die in der Nähe des
Esperi zusammengezogen werden mochte, wenn man das für den
besten Verwendungszweck für sie erachtete.
Sie würde wahrscheinlich auf jeden Fall sterben, aber sie
würde ihr Schicksal als loyales und gehorsames Mitglied der
Kultur auf sich nehmen und sich nicht als Schurke gebärden, der
eine private Fehde verfolgte.
Dann steigerte sie ihre Antriebskraft wieder zu voller Leistung,
gönnte sich einen verschwindend kurzen Augenblick der Ruhe,
bevor sie, volle Kraft voraus, davonpreschte, immer mehr
beschleunigte und einen hyperbolischen Kurs unter Umgehung der
direkteren Route der Flotte aufnahm, in Richtung des Standortes der
Exzession.
Sie mußte trotz allem noch vor der Kriegsflotte dort
ankommen.
XII
»Wie bitte?«
»Ich sagte, ich habe mich entschieden. Ich werde nicht mit
ihm reden. Ich will ihn nicht sehen. Ich will nicht einmal auf
demselben Schiff mit ihm sein. Bring mich weg. Ich möchte fort
von hier. Sofort.« Dajeil Gelian raffte ihre Röcke um sich
und ließ sich schwer in den Sessel in dem runden Raum unter der
durchscheinenden Kuppel plumpsen.
»Dajeil!« rief Amorphia aus, wobei er vor ihr auf die
Knie sank, mit weitaufgerissenen und glänzenden Augen. Er wollte
ihre Hände mit den seinen umschließen, aber sie entzog sie
ihm. »Bitte! Empfange ihn! Er hat eingewilligt, mit dir zu
sprechen!«
»Ach, hat er das?« sagte sie verächtlich. »Wie
großzügig von ihm!«
Der Awatara kauerte sich auf die Fersen. Er sah die Frau an, dann
seufzte er und sagte: »Dajeil, ich habe dich noch nie um etwas
gebeten. Bitte, sprich mit ihm. Tu es für mich.«
»Ich habe dich auch noch nie um etwas gebeten«,
erwiderte die Frau. »Was ich von dir bekommen habe, hast du mir
unaufgefordert gegeben. Einiges davon war unerwünscht«,
sagte sie kühl. »All die Tiere, die anderen Lebewesen,
diese ewigen Geburten und Kindheiten; du hast mich
verhöhnt!«
»Dich verhöhnt!« rief der Awatara aus.
»Aber…!«
Dajeil beugte sich vor, schüttelte den Kopf. »Nein, tut
mir leid, das war nicht richtig von mir.« Sie streckte die
Hände aus und umfaßte Amorphias. »Ich bin dir
aufrichtig dankbar für alles, was du für mich getan hast,
Schiff. Wirklich. Aber ich will ihn nicht sehen. Bitte, bring mich
weg von hier.«
Der Awatara bearbeitete sie noch eine Weile, jedoch ohne
Erfolg.
Das Schiff erwog verschiedene Schritte. Es erwog, die Grauzone
– die sich immer noch in seinem vorderen Hauptladeraum
befand – zu bitten, in das Denken der Frau einzutauchen, so wie
es sich in Genar-Hofoens eingeschlichen hatte, um die Wahrheit
über die Vorgänge auf Telaturier herauszufinden (und ihm
den Traum der längst verstorbenen Kommandantin Zreyn Enhoff
Tramow einzupflanzen; nicht daß sich das als nötig
erwiesen hätte oder besonders gekonnt ausgeführt worden
wäre). Es erwog, die AKE zu bitten, ihre Effektoren zu benutzen,
um ihr den Wunsch einzugeben, daß sie das Kind
bekäme. Sie erwog die Anwendung von chemischen oder
biotechnischen Mitteln, die Dajeil zwingen würden, das Kind zu
bekommen. Es erwog den Einsatz eines seiner eigenen Effektoren, um
dasselbe zu bewirken. Es erwog, sie einfach per Displacer
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