Ezzes
Bronstein in aufgeräumter Stimmung Strakosch den avisierten Besuch abstatten.
Der lag nun kaum eine Stunde zurück, und Bronstein hatte sich hinter seinen Schreibtisch geklemmt, wo ihm die Notiz über den Erwerb des Lebensmittelgeschäfts wieder ins Auge stach. Guschlbauer hatte es sich also leisten können, diesen Laden zu kaufen. Mit den illegal bezogenen Mieten war das wohl nicht weiter schwer gewesen, doch wie kam er überhaupt auf die Idee, just dieses Etablissement zu erwerben? Bronstein kramte in den Unterlagen und sah, dass der Vorbesitzer ein gewisser Ferdinand Aibler gewesen war. Ein Anruf beim Meldeamt überzeugte ihn davon, dass der Mann noch lebte und zur Miete in der Buchfeldgasse wohnte. Bronstein packte seine Sachen zusammen und machte sich auf den Weg.
Eine knappe halbe Stunde später stand er vor dem alten Herrn Aibler, der einmal Geschäftsmann gewesen war. Er klärte ihn über den Grund seines Besuchs auf und fragte, ob er in die Wohnung dürfe. Aibler bat ihn herein. Sie nahmen an einem abgestoßenen Küchentisch Platz und sahen sich erst einmal eine Weile schweigend an. Dann begann Bronstein mit einer Frage: „Wie kam Guschlbauer überhaupt auf Sie?“
„Was weiß ich. Das Geschäft ging damals ziemlich lausig. Na ja, das ist ja nichts Neues. Seit es den Kaiser nicht mehr gibt, geht ja alles den Bach hinunter.“
Bronstein besah sich den Mann genauer. Er trug speckige Flanellhosen in einem undefinierbaren Grau, dazu ein Hemd aus grobem Leinen und darüber eine zerschlissene Weste in einem ockerfarbenen Ton. Reich schien Aibler nicht zu sein, wenngleich seine Wohnung größer war als Bronsteins eigene. Aber das hatte nichts zu besagen. Wenn er sie schon lange bewohnte, dann war wohl auch der Zins erschwinglich. Er hätte einen Innenstadtgreißler ohne zu zögern dem Lager der Christlichsozialen zugeordnet, aber anscheinend war der Mann Monarchist.
„Diese ganze Republik! Die ist unser Untergang. Seit der Kaiser nicht mehr ist, ist auch Österreich nicht mehr.“
„Sie sind kein Freund unserer Ordnung?“
„Ordnung?“ Aibler sah den Polizisten mit ehrlichem Erstaunen an. „Ordnung? Was soll denn da in Ordnung sein? Vor zehn Jahren noch, da waren wir eine Weltmacht. Unser Wort hatte Gewicht. Wir verhandelten mit Briten, Franzosen und Preußen auf Augenhöhe. Wir brauchten eine ganze Woche, um von einem Ende unseres Staates zum anderen zu kommen. Und heute? Heute ist das alles nur noch ein schlechter Witz. Diese Republik ist doch gar nicht lebensfähig. Der Kanzler musste in die Schweiz pilgern, um dort vor dem Völkerbund um Almosen zu betteln. Jahrhundertelang sahen Prag, Budapest undAgram erwartungsvoll auf Wien. Und heute? Heute müssen wir froh sein, wenn uns zur Monatsmitte noch ein paar Heller übrig bleiben, um uns einen Laib Brot kaufen zu können. Ich hatte die nobelste Kundschaft. Hofratsgattinnen schickten ihre Bediensteten zu mir, die Beamten des Reichsrates erwarben bei mir ihr Gabelfrühstück. Der ganze Magistrat ging bei mir ein und aus, selbst Ärzte und Anwälte zählte ich zu meinen Gästen. Geschäfte wurden bei mir angebahnt, ja sogar Ehen geschlossen. Und dann? Dann war Ende der Fahnenstange. Diese Inflation damals, vor fünf Jahren, die brachte alle um ihr Vermögen. Keiner konnte sich mehr etwas leisten. Die Waren wurden stündlich teurer, ich konnte kaum noch etwas auf Lager legen, weil ich wusste, was ich am selben Tag nicht verkaufen kann, das ist am nächsten Tag schon unerschwinglich. Wenn da jemand“, lachte Aibler heiser, „auf einmal sagte, er wolle anschreiben, da wusste ich, ich wäre ruiniert, wenn ich das erlaubte. Heute kaufte er ein für ein ganzes Dorf, und am nächsten Tag bekam man für denselben Geldwert nicht einmal mehr eine Semmel. Aber ein Greißler, bei dem man nicht anschreiben kann, das ist kein Greißler. Und so blieb die Kundschaft aus. Und das alles wegen dieser beschissenen Republik. Unter dem Kaiser gab es so etwas nie, nicht einmal in der finstersten Stunde. Jawohl, mein Herr, ich bin kein Freund dieser Ordnung, denn diese Ordnung hat ehrliche Geschäftsleute ruiniert, hat unser Land ins Elend gebracht und vor aller Welt lächerlich gemacht. Sehen Sie sich doch nur einmal diese Hampelmänner an, die uns heute regieren. Dieser windige Prälat, als ob der etwas von Politik verstünde. Lässt sich von seinen Nonnen umsorgen, da drüben in seinem Landstraßer Kloster. Und sein Vize, irgendso ein Bauerntölpel aus der Provinz. Na
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