Ezzes
Bronstein dem Guschlbauer nicht verübeln, derlei hätte ihm selbst wohl auch in den Sinn kommen können. Doch Bronstein wusste, was sich gehörte, und so machte er eine angewiderte Miene, während sein Mund ein missbilligendes „Ts, ts“ in den Raum schickte.
„Und dann gab es immer wieder Kundschaft, die er selbst bediente, weil er sie rücksichtslos betrog. Ich habe dann stets versucht, das bei nächster Gelegenheit wieder gutzumachen, und mich auf seine Kosten verrechnet, aber das ging natürlich nur in Maßen, sonst wäre es ihm aufgefallen, und ich hätte meine Sachen packen können. So wenig ich dort verdient habe, gebraucht habe ich es doch.“
„Ist Ihnen vielleicht der Umgang Guschlbauers aufgefallen?“
„Der Umgang? Sie meinen, ob er Freunde oder Bekannte hatte?“
„Ja.“
„Nein. Da habe ich nichts bemerkt. Der Mann ist allein gekommen und allein gegangen. Er hatte keinerlei privaten Besuch, und er hat auch nie irgendjemanden erwähnt. Er war überhaupt sehr zurückhaltend, was sein Privatleben anbelangte.Ich könnte mich nicht daran erinnern, dass er jemals gesagt hätte, er sei im Kino gewesen oder hätte irgendeine Vergnügung besucht. In dieser Hinsicht war der Mann einfach nicht fassbar.“
Bronstein musste zugeben, die Gindl hatte mit diesem Satz den Nagel auf den Kopf getroffen. Genau so war es: Der Mensch Guschlbauer war nicht zu erfassen.
Bronstein hielt einen Moment inne und dachte nach, ehe er die nächste Frage stellte. „Sie waren vorgestern im Geschäft?“
Die Gindl nickte: „Ja, wie jeden Dienstag. Bis kurz vor 19 Uhr.“
„Und was haben Sie dann gemacht?“
„Ich bin direkt nach Hause gefahren und war in der Folge hier.“
Die nächsten Worte fielen Bronstein besonders schwer, doch sein Pflichtbewusstsein zwang ihn, sie auszusprechen: „Dafür gibt es dann wohl keine Zeugen, oder?“
Obwohl er damit die Gindl ziemlich affrontierte, zuckte die nicht einmal mit der Wimper: „Nun ja, ich war nicht allein, falls Sie das meinen. Doch mein Zeuge wird Ihnen keine wie immer geartete Frage beantworten, er wird Ihnen höchstens ins Gesicht spucken.“
Diese Reaktion hatte Bronstein nicht erwartet, und auf seinem Gesicht machte sich dementsprechend großes Erstaunen breit. Die Gindl behielt ihren ernsten Gesichtsausdruck für einen weiteren Moment aufrecht und schien sich an Bronsteins Entsetzen zu weiden, dann begann sie zu grinsen: „Ich habe für die Edith auf ihre Moni aufgepasst. Und die Moni ist 18 Monate alt. Sie werden sie also kaum verhören können. Die Edith hat ihre Tochter gegen 19 Uhr 30 bei mir abgeliefert und ist dann nach Margareten gefahren, um sich in der dortigen Volkshochschule einen Vortrag über materialistische Geschichtsauffassung anzuhören. Gegen elf war sie wiederzurück. Wir haben noch ein wenig geplaudert, und um Mitternacht bin ich ins Bett gegangen.“
Bronstein hatte der Gindl die Tatzeit bewusst verschwiegen, um ihre Antwort ungefiltert entgegennehmen zu können. Ihr Verhalten wies sich nicht unbedingt als das einer Verdächtigen aus, doch Bronstein wusste, dass er sich auf derartige Eindrücke nicht verlassen konnte. Also setzte er nach: „Sie gingen also kurz vor 19 Uhr. Wann genau?“
„Meine Güte, ich habe nicht auf die Uhr gesehen. Wir haben das Geschäft um 18 Uhr zugesperrt, dann noch die Abrechnung gemacht, wir sind die Bestellungen durchgegangen, und dann habe ich mich verabschiedet. Sie können es sich ohnehin ausrechnen. Von der Bartensteingasse zur Oper brauche ich üblicherweise 10 bis 15 Minuten, von dort dann bis hierher noch einmal 20 bis 30 Minuten. Da die Edith um halb acht bei mir war, werde ich wohl zwischen 18 Uhr 45 und 19 Uhr gegangen sein.“
„Und Herr Guschlbauer war bei Ihnen im Geschäft?“
„Ja. Er kam so gegen fünf und war wieder einmal ziemlich anlassig. Hat mir zwei- oder dreimal auf den Hintern getatscht, sodass ich richtig froh war, als ich gehen konnte. Er hat gesagt, er hätte noch etwas zu erledigen und würde das Geschäft dann selbst absperren. Na, und so bin ich eben gegangen.“
Vorausgesetzt, die Stepanek würde Gindls Geschichte bestätigen, dann hatte die Gindl jedenfalls ein wasserdichtes Alibi für die Tatzeit, dachte Bronstein. Andererseits war sie offenbar nur wenige Minuten vor Guschlbauers unsanftem Ende noch bei ihm gewesen. Gänzlich konnte er sie also nicht von der eben entstehenden Liste der Verdächtigen streichen, zumal man davon ausgehen musste, dass die Stepanek für
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