Ezzes
Kieberer. Egal an welchem Ort, zu welcher Zeit und zu welcher Gelegenheit. Und wann die Welt noch hundert Umstürze und Revolutionen durchmacht, das wird sich nie ändern.“
„Ja dann … zwei Leberkässemmeln bitte, … mit Senf und Gurkerl. Das Gurkerl bitte aufschneiden.“
Noch ehe er seinen Satz beendet hatte, lag das Gewünschte bereits fix fertig auf dem Tresen.
„Und wie haben S’ jetzt das gemacht?“
„Ich hab g’wusst, Sie kommen zurück und sagen genau das. Da hab’ ich’s gleich g’macht.“
Die Frau wurde Bronstein unheimlich. „Wenn Sie mir jetzt noch die Lottozahlen von übermorgen sagen, dann hätt’ ich eigentlich alles.“
„Na sehen S’, es geht doch. Der Spruch ist zwar alt, aber in genau diesem Augenblick immerhin ein Anfang. Wenn S’ noch ein bisserl üben, dann wird das schon noch. Das macht 2 Schilling 50.“
Bronstein blieb endgültig die Luft weg. „Wie bitte?“
Die Stepanek grinste. „Eins null, tät’ ich sagen, weil jetzt waren S’ wirklich schmähstad, oder?“ Die Blonde nannte lachend den echten Preis, den Bronstein ohne zu zögern zahlte, um danach regelrecht aus der Greißlerei zu flüchten. Zum Glück hatte es keine Zeugen für diesen Auftritt gegeben, denn dieseGeschichte hätte der alte Pokorny wahrscheinlich noch 1947 erzählt, vorausgesetzt, er wurde so alt.
Die Triester Straße war ein unangenehmes Terrain. Man erreichte sie eigentlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln kaum. Entweder, er fuhr bis zum Matzleinsdorfer Platz und ging dann eine hübsche Weile stadtauswärts, oder er fuhr zum Wasserturm und ging von dort stadteinwärts. Ein längerer Fußmarsch war ihm so oder so gewiss. Zum Glück hatte er für eine Stärkung gesorgt.
Die lange Fahrt mit der Straßenbahn bot Bronstein die Gelegenheit, den Fall zu reflektieren. Doch irgendwie glitten seine Gedanken ab, vermochte er sich nicht auf das eigentliche Thema zu konzentrieren. Victor-Adler-Hof, das war einer dieser neuen Riesenbauten, welche die Roten überall hinklotzten. Auch bei ihm in Margareten wurde eine Zinsburg nach der anderen aus dem Boden gestampft. Fast der gesamte Bereich des ehemaligen Linienwalls war eine einzige Baustelle, in deren Mitte der Reumann-Hof thronte, den die Sozis nach ihrem ersten Bürgermeister benannt hatten. Daneben befand sich jetzt der Metzleinstaler Hof, und in Richtung Matzleinsdorfer Platz war nur noch das Areal des Pferdemarktes unberührt, alles andere war bereits eine riesige Baugrube. Und das galt natürlich noch viel mehr für Favoriten, das immer schon eine Hochburg der Sozis gewesen war. Und natürlich musste der erste Gemeindebau den Namen Victor Adlers tragen, der diese Partei drei Jahrzehnte lang dominiert hatte. Bronstein erinnerte sich noch daran, als der Alte im November 1918 zu Grabe getragen worden war. Obwohl er an einem sehr brisanten Fall gearbeitet hatte, war er mit dutzenden anderen Polizisten abgestellt worden, für die Sicherheit zu sorgen, denn man befürchtete damals angesichts des Ablebens von Adler eine weitere Radikalisierung der Arbeiter. Aber natürlich war nichts passiert, im Gegenteil. Die sozialdemokratischen Massen hielten mehrOrdnung als die kaiserliche Armee, und das war generell ein Kennzeichen der Roten. Bronstein musste zugeben, dass die Leistungen der Wiener Stadtverwaltung nicht zu gering zu veranschlagen waren. Er erinnerte sich noch gut an die katastrophalen Wohnverhältnisse vor zehn, fünfzehn Jahren, als die meisten Menschen froh sein mussten, überhaupt eigene vier Wände zu haben. Diese neumodischen sozialdemokratischen Zwingburgen aber, die hatten einen Komfort, wie ihn zuvor nur das besser gestellte Bürgertum gekannt hatte. Helle Räume – „Licht in der Wohnung, Sonne im Herzen“ lautete einer der Werbesprüche, den die Sozis bei jeder Gelegenheit verkündeten –, erschwingliche Mieten, soziale und gesundheitliche Vorsorge durch Klubräumlichkeiten, Arztpraxen und Kindergärten, ruhige Plätzchen zur Erholung, Büchereien, ja, das musste man den Roten lassen, sie kümmerten sich um ihre Leute. Mehr, als es vielleicht die anderen Parteien taten. Und sie boten den Menschen eine Perspektive. Bronstein musste an seinen eigenen Bezirksvorsteher denken, Leopold Rister, ein einfacher, aber höchst gebildeter Mann, der einem schon allein ob seines buschigen und höchst kunstvoll geschwungenen Schnurrbarts in Erinnerung blieb. Der Mann unterschied sich nachhaltig von seinen Pendants auf der bürgerlichen Seite.
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