Ezzes
Er war volksnah, unkapriziös und sichtlich frei von jedweder persönlichen Eitelkeit. Von Leuten wie Rister oder Reumann konnten sich die Leute von der Einheitsliste eine ordentliche Scheibe abschneiden.
Bronstein musste unwillkürlich grinsen. Er dachte schon fast wie ein sozialdemokratischer Propagandaredner. Wenn er derlei einmal laut im Kreise seiner Kollegen von sich geben würde, dann bräuchte er gar nicht mehr im Kommissariat zu erscheinen, dann würde er keine Akten mehr anlegen, vielmehr würden dann über ihn Akten angelegt.
Die Straßenbahn war an der Davidgasse angelangt. Irgendwo hier musste sich der Adler-Hof befinden. Kurz entschlossenstieg Bronstein aus und stach direkt zur Triester Straße durch. Er brauchte sich nicht lange umzusehen, um den markanten Bau zu sichten. Zielstrebig hielt er darauf zu, bemüht, möglichst im Schatten zu gehen, um der Hitze so gut es ging auszuweichen. Wenig später verschwand er auch schon im Haustor und machte sich an den Anstieg ins dritte Stockwerk. Vor der entsprechenden Wohnungstür hielt er einen Augenblick inne, um wieder zu Atem zu kommen, und dachte sich, allmählich wurde das Anklopfen zu seiner charakteristischen Handbewegung. Doch wenn er an die Person Guschlbauer herankommen wollte, dann musste er mit so vielen Menschen sprechen, wie es eben nötig war. Nur so bekam er ein Bild des Ermordeten und damit möglicherweise das Motiv für die Tat. Also klopfte er.
Das war nicht fair! Wieso war in diesem Fall jede Frau jung und hübsch? Musste ihn das Schicksal so unbarmherzig daran erinnern, dass er mit 44 immer noch Junggeselle war? Vor allem aber: War es wirklich notwendig, ihm vor Augen zu halten, wie viel Schönheit es in der Welt gab, die ihm doch für immer verwehrt bleiben würde – jetzt, in diesem Alter, mehr denn je? Diese Gindl, die ihm da öffnete, stand der Stepanek kaum nach. Sie hatte ein ebenmäßiges Gesicht, mit großen ausdrucksstarken Augen, markanten Jochbeinen und einem bemerkenswert sinnlichen Mund. Den langen schlanken Hals zierten ein paar kleine Leberflecke, knappe zwei Handbreit darunter begann ein verheißungsvolles Tal zwischen den Brüsten der Frau, die in ein legeres weißes Männerhemd gehüllt waren, das nachlässig über den anthrazitfarbenen Stoffhosen hing. Trotz dieser eher ungewöhnlichen Kleidung konnte es niemandem entgegen, welch gute Figur diese Gindl besaß, und Bronstein kam schon wieder ins Schwitzen, was diesmal nichts mit der Hitze zu tun hatte. Er zwang sich, nicht länger auf den Körper der Frau zu starren, und schickte sich an, seinem Gegenüber den Grund für seinen Besuch auseinanderzusetzen.
„Guten Tag, Frau Gindl, vermute ich.“ Die Worte waren krächzend aus seinem Mund gekommen, und Bronstein ärgerte es, dass er sich wie ein Pennäler ausnahm. In seinem Alter wäre ein wenig mehr Souveränität nicht zu viel verlangt. Die Gindl nickte, während ihr Gesicht einen fragenden Ausdruck annahm. „Äh, Oberstleutnant Bronstein vom Kommissariat Innere Stadt. Ich untersuche den Mordfall Guschlbauer, und man hat mir berichtet, Sie waren für den Herrn seit Sommer des Vorjahres tätig.“
„Das ist richtig“, bestätigte die Gindl, „aber kommen Sie erst einmal herein.“ Die Gindl drehte sich um und bedeutete Bronstein, ihr in das Wohnzimmer zu folgen. Er bemühte sich um dienstliche Professionalität und sah partout an der Gindl vorbei.
Die Gindl bot ihm einen Platz am Esstisch an, während sie sich selbst setzte. Oberhalb ihres Hosenbundes wölbte sich ein klitzekleines Bäuchlein, das Bronstein nun endgültig in Wallung brachte. Diese Frau war exakt seine Kragenweite, und nur ein einziger Umstand trübte seine libidinöse Begeisterung: Sie war vollkommen außerhalb seiner Reichweite.
Die Gindl sprang abrupt auf: „Jössas, jetzt hab ich ganz vergessen, Sie zu fragen, ob ich Ihnen vielleicht etwas aufwarten kann. Wollen S’ einen Kaffee? Oder kühles, klares Leitungswasser? Einen Tee vielleicht?“
„Danke, das ist sehr lieb. Ein Glas Wasser vielleicht, wenn es nicht zu viel Mühe macht.“
„Aber gar nicht. Kommt sofort.“ Die Gindl verschwand in ihrer Küche, aus der alsbald das Rauschen der Wasserleitung zu hören war. „Sagen Sie“, fragte Bronstein, „darf man bei Ihnen rauchen?“ Die Gindl antwortete nicht, was Bronstein ein wenig verdross.
Sie kam zurück mit einem Krügelglas und einem Aschenbecher: „Ich rauche zwar nicht, aber tun Sie sich keinen Zwangan.“ Dankbar nahm
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