Ezzes
Brettljause. Er fühlte, wie seine Kräfte wieder zurückkehrten, wie die Last des Alltags von ihm abfiel. Was konnte es Besseres geben, als in der freien Natur zu sein und sich von all der städtischen Mühsal und Plage zu erholen? Er bedauerte es aufrichtig, sich nicht gleich eine ganze Woche Urlaub genommen zu haben, doch umso mehr würde er die beiden ihm zur Verfügung stehenden Tage nutzen.
Nach dem Essen setzte er sich hinter dem Haus auf eine Bank und ließ sich von der Sonne bescheinen. Es war herrlich, die Rückkehr alter Kräfte förmlich zu spüren. Gut und gern zwei Stunden mochte er auf diese Weise zugebracht haben, ehe ihn die Mittagshitze doch wieder in den Wald zurücktrieb. Ohne große Eile machte er sich an den Abstieg, und als er endlich wieder die Straße, die zum „Panhans“ führte, erreicht hatte, da war es, wie er fand, gerade die rechte Zeit, sich einen Kaffee zu gönnen.
Diesen nahm er dann in einem kleinen Etablissement in Sichtweite des Hotels, wobei er das Bedürfnis verspürte, etwas zu lesen. Er dachte an den eben absolvierten Spaziergang, und in seiner Erinnerung stiegen Passagen aus den Werken Stiftersauf, die er vor langer, langer Zeit gelesen hatte. Irgendetwas von einem Waldsteig, memorierte er für sich. Da ging es doch um einen hypochondrischen Kauz, der Gefahr lief, sein Leben lang ein unbeweibter Junggeselle zu bleiben, ehe ihm just bei einer Kur doch noch das Schicksal lächelte.
Na ja, das war eher nichts für ihn, dachte Bronstein bitter. Er war stundenlang durch den Tann gewandelt, doch ein Kurschatten hatte sich dabei nicht gezeigt. Wohl eher würde er wie Stifters Waldgänger enden, ein gleichsam seltsamer Alter, der Moose und Steine sammelt und sich der Welt gänzlich entzogen hat. Nein, wenn er es recht bedachte, dann war Stifter doch nicht die richtige Lektüre, denn Trübsal blies er auch so schon genug. Jetzt kehrten seine Gedanken doch wieder zum Fall Guschlbauer zurück. Was waren ihm da für wunderschöne Frauenzimmer untergekommen! Warum passierte ihm das in der Freizeit nicht? Warum gelang es ihm nicht, endlich eine Frau zu finden, mit der er den Rest seines Lebens teilen konnte? In seinem Alter war es allerhöchste Eisenbahn, endlich unter die Haube zu kommen, wenn man nicht als merkwürdiger Sonderling Stifter’scher Prägung enden wollte.
Es war doch wirklich zu dumm. Er sah doch ganz passabel aus. Er hatte eine letztlich beneidenswerte Stellung, verfügte über ein akzeptables Einkommen und machte einer Frau sicherlich keine Schwierigkeiten. Er trank nicht, war in allem, was er tat, maßvoll und würde einem Eheweib sicherlich etwas zu bieten haben. Warum also war er immer noch Junggeselle? Was hatte er falsch gemacht?
Bronstein zündete sich eine weitere Zigarette an und erwog die Bestellung eines Enzians, der ihm die richtige Antwort auf seinen Trübsinn zu sein schien. Er hatte, dachte er bei sich, wahrscheinlich gar nichts falsch gemacht, denn er konnte sich an keine einzige Beziehung erinnern, die in die Brüche gegangen wäre, weil er sich nicht richtig benommen hätte. Nein, dasSchicksal war für seine Lage verantwortlich, denn die richtige Frau hatte einfach niemals seinen Weg gekreuzt.
„Ja guten Tag, Herr Oberst. Was für ein Zufall, dass man sich hier trifft!“
Bronstein blickte auf und sah in das Gesicht der Kvitek. War das etwa die Antwort des Fatums auf seine Gedanken? Instinktiv sprang Bronstein auf und verbeugte sich. Dabei wollte er den Gruß erwidern, doch seiner Kehle entrang sich nur ein heiseres Krächzen. Er hoffte inständig, dass die Kvitek ihm dies verzeihen würde. Nun kam auch der Professor in sein Sichtfeld, der offenbar etwas länger gebraucht hatte, die Gaststätte zu betreten. Die beiden Männer begrüßten einander gleichfalls.
„Ich will Sie nicht inkommodieren“, begann Kvitek, „aber würden Sie uns eventuell die Ehre geben, heute beim Abendessen mit uns zu speisen?“
Bronstein kämpfte gegen aufsteigende Tränen der Rührung an. „Aber mit dem allergrößten Vergnügen“, sagte er endlich.
„Hervorragend. Dann wollen wir Sie jetzt nicht weiter stören. Wir sehen uns um 19 Uhr im Speisesaal?“
Bronstein nickte. „Ich werde pünktlich sein.“
„Prächtig. Einen schönen Nachmittag noch.“
Na bitte, mitunter konnte das Leben ja doch schön sein, freute sich Bronstein. Er verzichtete auf den Enzian und bestellte stattdessen einen milden Cognac, mit dem er seinen Kaffeehausbesuch abrundete.
Er
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