Ezzes
sie nur noch mehr hassten. Es würde eine allgemeine Furcht vor dem Unbekannten entstehen und daraus ein allgemeines „Crucifige“ resultieren, das nur umso lauter werden würde, wenn der Staatsanwalt erst einmal anfing, auf die Hildebrand loszugehen.
Das war dann, dessen war sich Bronstein sicher, der ultimative Todesstoß für die drei Frauen. Ohne Zweifel würde sich die Hildebrand als ein vollkommen amoralisches und dummdreistes Luder porträtiert sehen, zu faul und zu bösartig, sich in die Gesellschaft einzufügen. Der Anwalt würde es zu ihrem Nachteil auslegen, dass sie das Schneiderhandwerk aufgegeben hatte. Dass man als Lehrling ohne fremde Unterstützung zum Darben verurteilt war, das würde er geflissentlich übersehen, er würde vielmehr von einem asozialen Grundzug im Charakter der Hildebrand sprechen. Dieser wäre dann auch für ihre sexuelle Haltlosigkeit verantwortlich. Die Hildebrand, so hörte Bronstein den Vertreter der Anklage förmlich, habeden Guschlbauer becirct, um von ihrem allgemeinen Versagen abzulenken. Und als sie so nicht an ihr abwegiges Ziel gelangt sei, habe sie eben zu anderen Mitteln gegriffen. Zurückgeblieben sei nur Tod und Zerstörung.
Der dramatische Schlussappell des Anwalts würde dann darauf gerichtet sein, den Geschworenen unmissverständlich klarzumachen, dass die Welt unterginge, wenn sie sich nicht ermannten und die drei Hexen ihrer gerechten Strafe zuführten. „Geben Sie uns Gerechtigkeit! Geben Sie uns den Glauben an den Triumph des Guten zurück! Sorgen Sie dafür, dass dieses schändliche Verbrechen nicht ungesühnt bleibt, verschaffen Sie Recht und Gesetz Geltung und gehen Sie mit aller Härte gegen diese durchtriebenen Verbrecher vor, denn nur so kann verhindert werden, dass morgen Sie selbst Opfer eines solch hinterhältigen Anschlages werden.“ Bronstein hatte in seiner langen Berufslaufbahn oft genug Plädoyers von dieser Sorte gehört, um die Taktik solcher Anwälte in- und auswendig zu kennen. Ja, er war sich sicher, jederzeit selbst ein derartiges Schlusswort halten zu können, und ebenso sicher war er sich, dass dieses seine Wirkung nicht verfehlen würde.
Die drei waren also geliefert, ungeachtet des genauen Wortlauts der Anklage. Niemand würde für sie Verständnis aufbringen. Zuerst würden die Boulevardblätter kommen, die den Fall zur Auflagensteigerung zu nutzen wussten und darob umso derber über die Mordschwestern aus Simmering berichten würden. Dann würden alle Sittenwächter, gleich welcher Provenienz, auf den Plan treten, und zu schlechter Letzt käme eine Geschworenenbank, die aus ein paar Gewerbetreibenden, ein paar Beamten, ein paar Pensionisten und bestenfalls einer Pfarrersköchin bestehen würde. Selbst wenn da wirklich einer Sympathie für die Angeklagten aufzubringen in der Lage wäre, die übrigen Geschworenen würden ihn rasch mundtot machen. Wie man es auch drehte und wendete, die Höchststrafe war derHildebrand sicher. Und die Breuer und die Seiler, die würden für sehr lange Zeit hinter Schloss und Riegel verschwinden, und wenn sie wieder das Licht der Freiheit erblickten, dann waren sie ohne Zweifel alt und grau.
Bronstein seufzte. Es hatte ihm noch nie so wenig Befriedigung verschafft, Täter der Gerichtsbarkeit zu überantworten.
Je länger er darüber nachdachte, wie das Protokoll abzufassen wäre, desto mehr bekam er Mitleid mit den jungen Frauen. Die Hildebrand war noch keine zwanzig. Ein junges Mädel vom Land, dem das Leben niemals eine Chance eingeräumt hatte. Lebhaft konnte er sich vorstellen, wie das eigentlich unverdorbene Ding unter den Zudringlichkeiten des alten Wüstlings gelitten hatte. Krümmte sich nicht auch ein Wurm, wenn man ihn trat? War die Strafe, die den alten Guschlbauer ereilt hatte, letztlich nicht gerecht?
Bronstein erschrak. Jetzt dachte er selbst schon wie die so zahlreichen Anhänger der Lynch- und Selbstjustiz! Er war der Vertreter von Recht und Ordnung, und also hatte er dem Gesetz Geltung zu verschaffen, ungeachtet einer allfälligen Privatmeinung. Es oblag nicht dem Einzelnen, Recht und Unrecht zu definieren. Nein, die Gesellschaft gab sich ihre Gesetze, und die waren von allen einzuhalten, und zwar ohne Ansehen der Person, der Herkunft, des Geschlechts oder der persönlichen Überzeugung. Ging man erst einmal von diesem ehernen Grundsatz ab, dann versank die Gesellschaft wirklich im Chaos, und das ganz ohne Kassandrarufe aus der Anwaltszunft.
Und seine langjährige Erfahrung
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