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Ezzes

Ezzes

Titel: Ezzes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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geglaubt.
    Bronstein war weit davon entfernt, es mit den Suffragetten zu halten, aber ein Körnchen Wahrheit mochte schon in deren Behauptung liegen, dass diese Welt Männern weit eher verzieh als Frauen. Evas Sündenfall lastete seit Anbeginn der Zeit auf dem schwachen Geschlecht, und im Zweifelsfall wurde eine Frau stets eine Spur schwerer bestraft als ein Mann. Natürlich war die Kadivec eine verdorbene Person gewesen, die ihre Strafe zu Recht erhalten hatte. Aber waren es nicht die Männer gewesen, die sie erst zu diesen Taten angestiftet hatten, und sei es auch nur durch ihre abscheulichen Neigungen, welche die Kadivec auf solch lästerliche Weise befriedigt hatte? Dennoch hatte für die Geschworenen außer Zweifel gestanden, dass die Kadivec an allem Schuld trug und die Männer nur Opfer ihrer Betörungen geworden waren. Derlei ließ für Breuer, Seiler und Hildebrand wenig Gutes erhoffen. Dabei war es in ihrem Fall doch offenkundig, dass sie das genaue Gegenteil der Kadivec darstellten. Allein, diese Tatsache würde sie kaum retten. Die Wiener waren ein bigotter Haufen. Nur zu gut konnte sich Bronstein daran erinnern, wie sich ganz Wien über die Verderbtheit und Sittenlosigkeit, die in der Stadt eingekehrt sei, alterierte, als die Berliner Nackttänzerin Anita Berber ein Gastspiel in Wien gab. Eine Stimmung, die ein Jahr später erneut hochgekommen war, als es Josephine Baker ihrer deutschen Kollegin nachmachte. Der ultimative Untergang des Abendlandes war damals kollektiv von der Bürgerschaft beschworen worden. Und am Abend waren genau dieselben, die eben noch Empörung geheuchelt hatten, samt und sonders in die Vorstellungen der Berber und der Baker gepilgert.
    Und abermals seufzte Bronstein. Er blickte auf die Uhr. Bemerkenswert, wie schnell die Zeit verrann, wenn man um eine Entscheidung rang. Seine Finger glitten über den Aktendeckel, der immer noch nicht mehr enthielt als das Datum und die Bezeichnung des Verhandlungsgegenstandes. Bronstein atmete schwer aus und griff nach einer weiteren Zigarette.
    Ein quietschendes Knarren ließ ihn hochfahren. Ein junger Polizist in Uniform hatte die Tür aufgerissen und starrte Bronstein erschreckt an. „Tschuldigung vielmals“, entrang sich der Kehle des Uniformierten, „Herr Oberstleutnant, ich habe nicht gewusst, dass hier noch jemand arbeitet. Ich hab geglaubt, jemand hat vergessen, das Licht abzudrehen.“
    Bronstein fasste sich wieder: „Is ja nix g’scheh’n“, tönte er jovial, „tun S’ Ihnen nix an.“ Der Beamte nahm Haltung an. „Kann ich Ihnen vielleicht irgendwie behilflich sein?“
    „Des is sehr lieb, danke. Aber ich brüte da über einem Akt und werd’ aus der ganzen G’schicht’ net ganz schlau. Ich fürcht also, Sie können mir leider nicht helfen, lieber Kollege.“
    „Cerny. Andreas Cerny“, stellte sich der Uniformierte vor. „Wenn S’ was brauchen, einen Kaffee oder so, dann sagen Sie’s ruhig. Das ist kein Problem für mich.“
    Bronstein lehnte sich zurück und legte die Zigarette am Rand des Aschenbechers ab. „Wissen S’ was, Kollege, so ein Kaffee wär jetzt grad das Richtige. Aber seien S’ doch so gut und bringen S’ gleich zwei, dann können wir ein wenig plaudern dabei.“
    „Wo kommen S’ eigentlich her, Cerny?“, fragte Bronstein, während er die Kaffeetasse langsam zum Mund führte, „das klingt irgendwie böhmisch.“
    „Ist es auch. Ich stamme aus Olmütz im Mährischen. Mein Vater war dort am Bezirksgericht tätig, und nach dem Krieg sind wir nach Wien übersiedelt. Ich hab nach der Matura diePolizeischule absolviert und bin jetzt schon seit viereinhalb Jahren bei der Justizwache.“
    „Mein lieber Schwan! Welcher Unstern hat denn Sie gerauscht, dass S’ bei dem Verein gelandet sind? Das ist ja die vollkommene Sackgasse. Karrieretechnisch gesehen.“
    Cerny zuckte mit den Schultern. „Ich weiß. Aber damals hat man froh sein müssen, dass man irgendwo unterkommt. Es waren ja viel zu viele Beamte da, für die man eine Verwendung hat finden müssen.“
    „Ja, ja“, winkte Bronstein ab, „erinnern Sie mich nicht daran. Das war ein echtes G’wirks damals. Da haben wir jede Menge Dorfgendarmen aus Galizien, Wolhynien, Lodomerien, aus der Bukowina, dem Banat und der Krajina g’habt, die auf einmal in den Nachfolgestaaten der Monarchie nicht mehr gelitten waren. Tragische G’schicht’ dazumals, weil viele nicht einmal g’scheit Deutsch gekonnt haben, nur irgend so einen Hinterwäldlerdialekt,

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