Ezzes
den da keiner verstanden hat. Aber natürlich hat man die übernehmen müssen, schon allein, weil sie ja auf Österreich vereidigt waren. Da war dann für den Nachwuchs wenig Platz.“
„Eben“, bestätigte Cerny und nahm nun seinerseits einen Schluck Kaffee.
„Und wie ist das so bei der Justizwache?“
„Na ja. Besser als arbeitslos, würd’ ich einmal sagen. Aber ich gebe zu, wie ich mich für den Polizeidienst entschieden habe, da hab ich mir schon etwas anderes darunter vorgestellt.“
Bronstein hielt dem Kollegen eine Zigarette entgegen, die dieser mit dem Hinweis, er sei Nichtraucher, dankend ablehnte. Bronstein machte eine Geste, die besagte, Cerny sei selbst schuld an dem, was ihm entgehe. „Tja, Sie sind noch jung“, sagte er dann, „Sie werden Ihren Weg schon noch machen. Bei mir war das alles auch keine g’mahte Wies’n.“
Plötzlich fiel ihm ein, dass er sich noch gar nicht vorgestellt hatte. „Ich bin übrigens der David Bronstein von …“
„Jessas, die Redl-Sache“, platzte es ehrfurchtsvoll aus Cerny heraus, „und die ... die Sadisteng’schicht’ im 23er Jahr.“
Bronstein fühlte sich geschmeichelt. „Ja, schuldig im Sinne der Anklage“, entgegnete er lachend. Gleich danach wurde er wieder ernst. „Aber witzig, dass Sie gerade die Kadivec-Sache erwähnen. An die hab ich auch grade denken müssen. Der Fall da“, dabei klopfte er mit dem Zeigefinger auf den Aktendeckel, „ist irgendwie ähnlich gelagert.“
„Schon wieder eine Perverse?“
„Na. Eigentlich net. Aber dennoch delikat irgendwie. In der Innenstadt haben s’ vor einer Woche einen Greißler g’macht, und jetzt weiß ich, wer’s war. Unschön, das Ganze, denn offen gesagt, ich versteh’ die Täter irgendwie.“
Bronstein schickte Cerny einen schnellen Blick, um zu überprüfen, ob er sich eben zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte und schleunigst einen geordneten Rückzug antreten musste. Doch Cerny wiegte nur nachdenklich den Kopf hin und her, ehe er zu sprechen begann: „Lassen S’ mich raten, Herr Oberstleutnant. Eine Nötigungsgeschichte. Das Opfer hat die Täterin sexuell bedrängt, und sie hat ihn im Rahmen einer Notwehrüberschreitung getötet.“ Bronstein pfiff durch die Zähne. „Nicht schlecht, Herr Kollege. Sie haben eine fixe Auffassungsgabe. Sie sind definitiv zu schade für die Wachleut am Gericht.“
Cerny blickte betreten zu Boden.
„Ja, so ähnlich ist es g’wesen. Und jetzt steh’ ich da mit der G’schicht und weiß nicht, was ich tun soll.“
Eine Weile saßen die beiden Beamten schweigend da und hingen ihren Gedanken nach. Dann begann Cerny langsam zu sprechen und schien dabei jedes einzelne Wort besonders abzuwägen. „Vielleicht hilft es Ihnen ja, Herr Oberstleutnant, wenn Sie mir einfach die ganze Geschichte von Anfang an erzählen.Nicht, dass ich berufen wäre, Ihnen einen Ratschlag zu erteilen, beileibe nicht, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass man manchmal zu ganz erstaunlichen Ergebnissen kommt, wenn man eine Sache einem Außenstehenden offenbart. Wer weiß, vielleicht hilft das ja Ihnen auch.“
Bronstein zog die Augenbrauen hoch, und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. „Na ja, schaden kann’s nicht, oder?“
Und in der nächsten Stunde musste sich Bronstein mehr und mehr über sich wundern. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er zuletzt so lange am Stück geredet hatte. Es war, als hätte Cernys Aufforderung irgendeinen Damm in ihm gebrochen, und so redete Bronstein, als ginge es um sein Leben. Er ließ nichts aus, legte den Hintergrund Guschlbauers dar, schilderte lebhaft die Lebensbedingungen der bei ihm illegal Einquartierten, wobei er es verstand, besonders lebhaft von seiner Begegnung mit der alten Lifschitz zu berichten, während er die beiden slowakischen Mädel eher nur am Rande erwähnte. Er erzählte vom Elend, in das der alte Aibler gekommen war, umriss die Situation der Gindl und der Stepanek, um schließlich genauestens Rechenschaft über die Seiler, die Breuer und die Hildebrand abzulegen. Am Ende war er erstaunt, wie schnell eine Stunde vergehen konnte, denn er hatte den Eindruck, gerade einmal das Notwendigste gesagt zu haben.
Cerny wiegte den Kopf hin und her, dann sah er Bronstein direkt in die Augen. „Das ist wirklich keine leichte Angelegenheit. Die Menschen sind an sich weder gut noch schlecht, es braucht nur einen kleinen Stolperstein, um ins Elend zu fallen. Die Welt ist nicht, wie sie sein sollte, und uns
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