Ezzes
erreicht hatte, ein gutbürgerliches Gasthaus in der Mariahilfer Straße an, wo er ein Abendessen spendierte, das schnippische „Schlechtes Gewissen, was?“ der Seiler überhörte er, da er sich bewusst an einen anderen Tisch gesetzt hatte.
So war es beinahe 19 Uhr, als er mit seinen drei Verdächtigen beim Wachzimmer im Justizpalast vorstellig wurde. Er wiessich aus und forderte zwei Beamte des Journaldiensts und entsprechende Räumlichkeiten an. Leidlich zwanzig Minuten später wurde aus den bislang geführten Gesprächen eine offizielle Angelegenheit. Die Hildebrand musste ihre Aussage in aller Ausführlichkeit wiederholen, wobei der Protokollant jedes ihrer Worte mitschrieb. Kurz nach neun Uhr abends wurde die Hildebrand in eine Verwahrzelle am Ende des Korridors gebracht, und Bronstein wiederholte die ganze Prozedur mit der Breuer, ehe um zehn Uhr abends auch die Seiler eingehend einvernommen wurde. Wie er es erwartet hatte, ergab sich nichts Neues, und das Bild, das er schon zu Mittag vollständig gewonnen hatte, verfestigte sich. Er versuchte, sich gegenüber keiner Seite etwas anmerken zu lassen, und beschränkte sich daruf, alle möglichen Fakten zu sammeln, um sie zu einem späteren Zeitpunkt einer Bewertung zuzuführen. Auch die Verhaltensweisen der drei Frauen hatte er richtig eingeschätzt. Die Hildebrand wurde verständlicherweise immer noch von ihren Emotionen überwältigt, die Breuer verhielt sich defensiv, die Seiler hingegen herausfordernd und selbstbewusst. Vielleicht dauerte das Gespräch mit ihr deshalb auch länger als geplant, und so war es bereits beinahe Mitternacht, ehe er auch die Seiler in die Verwahrzelle bringen lassen konnte. Er verabschiedete sich von den Protokollbeamten, sammelte die Aktenstücke zusammen und begab sich in ein Amtszimmer, um dort über seine weiteren Schritte nachzudenken.
IX. Freitag, 15. Juli 1927
Bronstein war ratlos. Er hatte ein umfassendes Geständnis und drei Frauen, die direkt oder indirekt in einen bestialischen Mord verwickelt waren. Nun ja, in einen bestialischen Totschlag. Sicherlich, man konnte es auch aus der Sicht der Frauen betrachten, dann blieb Notwehrüberschreitung. Aber welches österreichische Geschworenengericht würde den drei Anzuklagenden ihre Geschichte abkaufen?
Bronstein sah den Staatsanwalt förmlich vor sich, wie er ganz tief in die Trickkiste griff, ein pittoreskes Bild eines vermeintlichen Ehrenmannes zeichnete, dessen einziges Vergehen sein Erfolg gewesen war. Ein Mann, der in falsch verstandener Großzügigkeit Nattern an seinem Busen genährt hatte. Er würde eine Biographie entwickeln, die einen kleinen Mann – wie es tausende in diesem Lande gab – beschrieb, der durch Fleiß und Tüchtigkeit zu Ansehen und ein wenig Wohlstand gekommen war. Ein Aufstieg, wie ihn sich jeder in diesem Land erträumte. Wer wünschte sich nicht, Karriere mit Lehre zu machen, vom kleinen Fleischhauergesellen zum Villenbesitzer, eine Entwicklung wie im Märchenbuch. Der Anwalt würde nicht sparsam mit Worten umgehen, wenn es darum ging, das Leben des Oskar Guschlbauer in allen Farben zu schildern. Wie er sich gemüht hatte, von früh bis spät stets hart arbeitend, und jeden eingenommenen Schilling gespart hatte, um es einmal zu etwas zu bringen. Jeder Geschworene würde in Guschlbauer ein Vorbild sehen, dem es nachzueifern gelte.
Und dann würde der Anwalt beginnen, die drei Frauen in den düstersten Schattierungen zu schildern. Ganz sicher würdeer der Breuer und der Seiler ein lesbisches Verhältnis andichten. Er würde sie als sittenlos und verkommen darstellen, würde mit geiferndem Unterton von den sexuellen Ausschweifungen und widernatürlichen Praktiken sprechen, denen sich diese amoralischen Geschöpfe hingegeben hätten, und er würde darauf verweisen, dass der Umstand, dass man solche Ungeheuer auf die Jugend losgelassen habe, nur belege, wie verderbt die Gesellschaft mittlerweile sei, sodass man sich nicht zu wundern brauche, wenn das Abendland im Untergang begriffen sei. Und die Geschworenen würden die beiden Frauen ansehen und wissend nicken. Sie würden sich innerlich dabei ertappen, wie gerne sie Zeugen der Abartigkeiten dieser Venuspriesterinnen gewesen wären, und ihre moralische Entrüstung würde darob schon ob des eigenen Seelenheils keine Grenzen kennen. Ja, die Geschworenen würden sich zu fürchten beginnen, und das vermeintliche sexuelle Selbstbewusstsein der beiden Frauen würde dazu führen, dass die Geschworenen
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