Ezzes
unappetitlich verlaufen war, doch er konnte beim besten Willen kein Mitleid mit dem Greißler empfinden. Die kleine Hildebrand hatte fraglos in Notwehr gehandelt. Bronstein war davon überzeugt, dass jedes Wort ihrer Aussage der Wahrheit entsprach, denn dieser Bericht deckte sich vollends mit den vorgefundenen Fakten. Was musste dieses Mädel durchgemacht haben! Ein Mann konnte sich Derartiges wahrscheinlich gar nicht vorstellen. Die junge Frau hatte schlimmste Folterungen durchlitten, und wer konnte es jemandem verübeln, wenn er seinem Peiniger Gewalt antat?
Und doch. Er würde sie nach Wien mitnehmen müssen. Daran führte kein Weg vorbei. Wenn die Hildebrand moralisch ohne Frage im Recht war, so hatte sie doch eine Tat gesetzt, die gerichtlich untersucht werden musste. Mein Gott, wie brachte er ihr das bei? Und wie ihrer Mutter? Da war Taktgefühl gefragt. Aber es musste auch ihnen einleuchten, dass er jetzt, da er die Wahrheit wusste, nicht einfach nur „Aha“ sagen und wieder heimreisen konnte. Er würde ihnen versichern, persönlich dafür zu sorgen, dass es der kleinen Hildebrand an nichts mangelte und dass sie keinesfalls länger als unbedingt nötig in Polizeigewahrsam blieb.
Obwohl – konnte er das überhaupt? Für die in Wien war das sicher ein Routinefall. Die Hildebrand würde in Untersuchungshaft kommen und aus. Bis ihr Prozess begann, würden Wochen, wenn nicht Monate vergehen, und in der Zwischenzeit wäre ein so sanftes Pflänzlein wie die Hildebrand sicherlich im Kerker eingegangen. Nein, es musste einen anderen Weg geben. Nur welchen?
Bronstein schnippte den Rest der Zigarette über den Gartenzaun und kehrte ins Haus zurück. Er fand die Küche leer undwurde von einer unguten Ahnung beschlichen. Hektisch sah er sich um. Als er sich schon einen gutmütigen Trottel schalt, der sich einfach hatte übertölpeln lassen, kam die Mutter die Kellerstiege heraufgestiegen. „Ich pack der Kati nur eine Jause ein. Für die Fahrt nach Wien. Die ist ja jetzt wohl unvermeidlich, nehme ich an.“
Bronstein war dankbar für das Verständnis, das die Mutter aufbrachte, es erleichterte ihm seine Aufgabe. Die Mutter trat ganz dicht an ihn heran und begann zu flüstern: „Die Kati hat mir verboten, es zu erwähnen, aber die Hansi und die Gretl, die haben sich rührend um sie gekümmert. Die waren es auch, die sie zu mir expediert haben. Sie sehen, es gibt schon noch Menschlichkeit in dieser Welt.“
Die Mutter wusste nicht, dass sie mit diesen Worten Bronstein in einen weiteren Konflikt stieß. Insgeheim hatte er damit ja gerechnet, dass die beiden irgendwie involviert gewesen waren. Formell erfüllten sie den Tatbestand der Beihilfe, sie waren zumindest Mitwisser und hatten dies der Behörde nicht angezeigt, also waren sie auch haftbar zu machen. Bronstein fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Nicht noch mehr Probleme, bitte, dachte er.
„Wissen S’ was, Frau Hildebrand. Ich vertraue Ihnen. Die Kati hat eine Stunde Zeit, sich herzurichten.“ Bronstein zog seine Taschenuhr hervor, die zehn Minuten vor zwölf Uhr Mittag zeigte. „Um eins komme ich sie holen. Und sie is besser da, sonst kann niemand mehr etwas für sie tun, und sie klebt lebenslang am Felsen. Haben wir uns verstanden?“ Die Frau Hildebrand nickte ehrfürchtig. „Gut“, sagte Bronstein nur, „i hab noch an Weg.“ Er ging die Straße zurück zum Haus der Breuer’schen. Noch ehe er um die Ecke bog, sah er die Seiler auf der Veranda sitzen. Ihr neckisches Haar tanzte im Sommerwind. Die Frau trug nichts als ein dünnes Kleid am Leib, und Bronstein schickte ihren nackten Oberschenkeln einen anerkennenden Blick. Dannwar er wieder er selbst. Er öffnete das Gartentor und trat auf den Vorbau zu. Die Seiler hatte eine Zigarette zwischen den Lippen hängen und las ein Buch. „Ein feines Feuer“, las Bronstein den Titel, den Namen des Autors konnte er nicht entziffern. Er war bis zu „Andreas“ gekommen, als er die Stimme der Seiler hörte: „Morgen, Herr Inspektor“, sagte sie, „wir haben schon auf Sie gewartet.“
„Ach wirklich?“
Die Seiler legte das Buch beiseite. Mit dem Titel nach unten, wie Bronstein bemerkte. „Schon seit gestern Abend, um ehrlich zu sein. Uns ist natürlich nicht entgangen, dass Sie uns gefolgt sind. Darum haben wir auch die Kati noch nicht besucht. Wir wollten Ihnen den Vortritt lassen.“
„Das war ja sehr zuvorkommend von Ihnen“, ätzte Bronstein, „Sie wissen, warum ich hier bin?“
„Na
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