F (German Edition)
selbst verschwindet, ein Ende aller Dinge ohne Schlusspunkt?
Im zweiten Teil geht es um etwas anderes. Darum nämlich, so versichert der Autor, dass du, jawohl du, und das ist keine rhetorische Wendung, dass also du nicht existierst. Du meinst, du liest das hier? Selbstverständlich meinst du das. Aber das hier liest keiner.
Die Welt ist nicht so, wie sie aussieht. Es gibt keine Farben, sondern Wellenlängen, es gibt keine Töne, sondern schwingende Luft, es gibt eigentlich auch keine Luft, sondern verkettete Atome im Raum, wobei «Atome» ja auch nur ein Wort ist für Energieverschlingungen ohne Form und festen Ort, und was ist überhaupt Energie? Eine Zahl, die konstant bleibt, in allen Veränderungen, eine abstrakte Summe, die sich erhält, nicht Substanz, sondern Verhältnis, also reine Mathematik. Je genauer man hinsieht, desto leerer wird alles, desto irrealer sogar die Leere. Denn auch der Raum ist bloß eine Funktion, ein Modell unseres Geistes.
Und der Geist, der diese Modelle erschafft? Vergiss nicht: Im Gehirn wohnt niemand. Kein unsichtbares Wesen schwebt durch die Nervenwindungen, blickt durch die Augen, horcht von innen an den Ohren und spricht durch deinen Mund. Augen sind keine Fenster. Da sind Nervenimpulse, aber niemand liest sie, zählt sie, übersetzt sie und denkt über sie nach. Such, so lange du willst, niemand ist zu Hause. Die Welt ist in dir, und du bist nicht da. Denn «du», das ist auch von innen gesehen bestenfalls ein Provisorium, notdürftig zusammengeflickt: ein paar Millimeter Blickfeld, das an den Rändern schon ins Nichts rinnt, darin blinde Flecken, ausgefüllt von Gewohnheit und einem Gedächtnis, das wenig bewahrt und das meiste erfindet. Dein sogenanntes Bewusstsein ist ein Flackern, ein Traum ist es, den niemand träumt.
So geht es über fünfzig Seiten, und beinahe funktioniert es, fast ist man überzeugt. Nur beschleicht einen das Gefühl, auch dies sei nur eine ironische Demonstration von – ja, was eigentlich? Denn schon ist man beim Schlusskapitel. Es ist kurz und gnadenlos und handelt, daran besteht kein Zweifel, von Arthur selbst.
F tritt wieder auf, und es geschieht auf wenigen Seiten die Zergliederung eines Menschen: Begabt, ohne Mut, zögerlich, egozentrisch bis an die Grenze der Gemeinheit, angeekelt von sich selbst, bald schon gelangweilt von der Liebe, unfähig, sich ernsthaft mit etwas abzugeben, auch die Kunst bloß als Vorwand für Untätigkeit nützend, nicht gewillt, sich für andere zu interessieren, nicht imstande, Verantwortung zu übernehmen, zu feige, sich dem eigenen Scheitern zu stellen, ein schwacher, unehrlicher, überflüssiger Mensch, talentiert nur für leere Gedankenspiele, für Scheinkunst ohne Substanz und für das lautlose Entkommen aus jeder unangenehmen Situation, hat endlich den Punkt erreicht, an dem er aus reinem Überdruss am eigenen Selbst behaupten muss, niemand habe ein Selbst und jedes Ich sei eine Täuschung.
Aber auch dieser dritte Teil ist nicht so klar, wie es scheint. Ist dieser Selbsthass wirklich echt? Nach den Ausführungen zuvor gibt es doch gar kein Ich, und all die Gewissenserforschung hat keinen Sinn. Welcher Teil hebt welchen auf? Der Autor gibt keinen Hinweis.
Iwan, Eric und ich hatten je ein Exemplar mit der Post bekommen, in einem Kuvert aus braunem Packpapier, ohne Widmung oder Absender. Das Buch wurde nirgendwo besprochen, und ich sah es in keinem Geschäft. Erst ein Jahr später fiel es mir zum ersten Mal auf der Straße auf. Ich war auf dem Heimweg von der Universität, und für einen Moment hielt ich, was ich sah, für eine Einbildung. Aber da war es wirklich, in den Händen eines alten Herrn auf einer Bank, der beim Lesen angespannt vor sich hin lächelte, offenbar gefangen vom Zweifel an seiner eigenen Existenz. Ich bückte mich und blickte auf den einfarbig blauen Umschlag, der Herr sah beunruhigt auf, ich ging schnell weiter. Zwei Wochen später sah ich das Buch wieder, diesmal in der U-Bahn, ein Mann mit Ledertasche und fransigem Hut las darin. Als ich es in der nächsten Woche ein zweites Mal sah, standen schon in allen Zeitungen Artikel darüber, da hatte es gerade den ersten Menschen in den Tod gelockt.
Eine verträumte Seele mit metaphysischer Neigung war es gewesen, ein Medizinstudent in Minden, der nach der Lektüre ein wirres Experiment entworfen hatte, um sich seines Daseins zu versichern. Niemand verstand die Einzelheiten, aber es hatte etwas mit einem Minutenprotokoll seiner Seelenregungen
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