F (German Edition)
denn der Klee geblieben sei. Die Kunst ist eine Falle, sonst nichts, schlau ausgedacht von Menschen wie meinem Bruder!
Noch im Bademantel gehe ich den Flur entlang, die Treppe hinunter, ins Medienzimmer. Es gibt eine Leinwand mit Videobeamer, die schwarzen Würfel der Lautsprecher wären leistungsstark genug, um ein Fußballstadion zu beschallen. Davor steht eine weiche Ledercouch.
Auf dem Tisch liegt die Fernbedienung. Ohne nachzudenken, setze ich mich, greife danach und drücke ein paar Knöpfe. Summend erwacht die Leinwand zum Leben: das Fernsehprogramm des frühen Morgens, ein Naturfilm. Eine Libelle landet auf einem Halm. Sie hat haardünne Beine, ihre Flügel zittern, und die Fühler betasten das schrundige Grün. Interessant, aber es erinnert mich an die Kamera.
In einem der Geräte ist eine versteckt. Es wäre seltsam, wenn da keine wäre, da man ja so leicht eine darin verstecken kann, nie würde ich sie finden zwischen all den Linsen. Ich drücke wieder auf einen Knopf, die Wiese verschwindet, stattdessen steht ein Staatssekretär hinter einem Stehpult und redet so schnell, als hinge viel davon ab, dass er bald fertig wird.
«Nein», sage ich. «Nein, nein, nein, nein. Nein!»
Das hilft zum Glück. Er spricht langsamer.
Aber leider hat er mich bemerkt. Ohne mit dem Sprechen aufzuhören, wirft er einen raschen Blick in meine Richtung. Sehr unauffällig hat er das gemacht, aber es ist mir nicht entgangen.
Ich halte den Atem an. Jetzt darf ich nichts Falsches tun. Denn ohne Frage ist das unsinnig, ich weiß es ja, die Sendung mit dem Staatssekretär ist eine Aufzeichnung, so früh am Morgen gibt man keine Pressekonferenz.
Aber ich weiß auch, dass er mich angesehen hat.
«Ganz ruhig. Immer mit der Ruhe.»
Mit kaltem Schrecken wird mir klar, dass ich das laut gesagt habe. So eine Blöße darf ich mir nicht geben! Und der Staatssekretär, dessen Name mir plötzlich einfällt – er heißt Obermann, Bernd Richard Obermann, und ist für Strom zuständig oder für Erziehung –, hat es gehört, denn ein spöttisches Lächeln gleitet über sein Gesicht. Ich lasse mir nichts anmerken, so leicht verliere ich nicht die Fassung. Ganz ruhig, sage ich erneut zu mir, aber diesmal lautlos und ohne die Lippen zu bewegen, tu so, als wäre alles in Ordnung! Irgendwie muss ich es schaffen, von der Leinwand wegzuschauen. Ich konzentriere mich auf den Rand meines Blickfelds, und da sehe ich verschwommen etwas auf dem Teppich, eine Störung der Symmetrie: ein Rotweinfleck. Zum Teufel, dieser Teppich hat fünfunddreißigtausend Euro gekostet!
Die Wut hilft mir dabei, den Blick von der Leinwand abzuwenden. Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, dass Staatssekretär Obermann vom Schirm verschwunden ist. Ein harmloser Herr spricht jetzt ins Mikrophon und interessiert sich nicht für mich. Schnell hebe ich die Fernbedienung, das Bild flammt auf und erlischt.
Das war knapp. Ich stehe auf, bemerke jemanden in der Tür und zucke zurück.
«Habe ich dich erschreckt?»
«Nein, wieso denn? Nein, nein. Nein!» Ich sehe meine Tochter an, meine Tochter sieht mich an, und um etwas zu sagen, frage ich: «Schreibst du heute eine Arbeit?»
«Ja, in Mathematik.»
Ich gratuliere mir, jetzt wirke ich wie ein Vater, der die Dinge im Blick hat und Anteil nimmt, dabei weiß ich einfach, dass Kinder ständig Schularbeiten schreiben. Irgendeine Prüfung ist immer abzulegen, jeden Tag findet zuverlässig eine Gemeinheit statt.
«Weißt du etwas über diesen Rotweinfleck?»
Sie schüttelt den Kopf.
«Wenn du das warst, sag es ruhig. Du wirst nicht bestraft.»
«Ich trinke keinen Wein!»
Das hat sie schön gesagt. Am liebsten würde ich sie jetzt auf beide Wangen küssen, aber ich denke an die Kamera und lasse es sein. «Und?», frage ich stattdessen. «Gut gelernt? Gut vorbereitet?»
Sie zuckt die Achseln, als würde sie nicht glauben, dass mich das interessiert. Das kränkt mich. Denn obwohl es mich wirklich nicht interessiert, tue ich mein Bestes, um mich so zu verhalten, als wäre es mir wichtig. Eine kleine Spinne fällt mir auf – ein Pünktchen, das sich neben der Tür die Wand emporbewegt. Wovon lebt sie eigentlich, was frisst, was trinkt sie, oder trinken Spinnen nicht? Ich würde Marie gern fragen, sie lernt bestimmt genau so etwas in der Schule, aber stattdessen frage ich: «Was kommt dran heute, seid ihr schon bei der Differenzialrechnung?»
«Was ist das?»
«Das weißt du nicht?»
«Ich bin zehn, Papa.»
Auf alles hat sie
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