F (German Edition)
aber in Wahrheit ist das Fliegen nicht schwer, wenn man weder Skrupel hat noch Furcht und außerdem verrückt ist. Bei Ulm bezichtigte ihn ein Kaufmann, er habe ihm Geld gestohlen, und das war auch so, doch er wusste, dass man nur schneller rennen musste als die Dummköpfe, dann drohte einem nichts. Bei irgendeinem Dorf zwischen besonders hohen Bäumen zeugte er ein Kind. Er sah es nie, seinen eigenen Vater hatte er ja auch nicht gekannt.
So verging seine Zeit. Manche sagten, dass er bei Palästina erschlagen worden sei, andere wollten wissen, dass er am Galgen geendet habe, und nur ein paar wenige behaupteten später, dass er noch lebe, da man jeden töten könne, nicht aber einen wie ihn.
Sein Vater war der Sohn eines Söldners, der sich eine Frau genommen hatte, die ihn nicht wollte, am Wegesrand, im Feld. In seiner Umklammerung hatte sie begriffen, dass Gott ihr nicht helfen würde, weil die Hölle nicht später kam, sondern jetzt war und hier. Plötzlich merkte der Söldner, dass es falsch war, also ließ er sie los, aber es war schon zu spät, und er rannte und vergaß. Das Kind ließ sie gleich nach der Geburt im Pferdestall, dann vergaß sie es auch.
Aber der Junge überlebte. Er überlebte den Pesthauch, der durchs Land zog, er überlebte Schmerz und Typhus, er wollte nicht sterben, auch wenn gar nichts dafür sprach, dass er lebte, es gab kaum Essen, aber er starb nicht, alles war voll Kot und Fliegen, aber er starb nicht, und wäre er gestorben, gäbe es weder mich noch meine Söhne. An unserer Stelle würden andere, die es nun nicht gibt, ihr Dasein für unausweichlich halten.
Er wuchs heran, wurde Schmied, fand eine Frau, eröffnete einen kleinen Laden, den kurz darauf das Feuer vernichtete, und arbeitete als Pferdeknecht. Er zeugte acht Kinder, von denen drei überlebten. Bald danach wurde er von einem Fuhrwerk überrollt, verlor ein Bein, starb aber immer noch nicht, obwohl der Wundbrand ihm den Schädel verwirrte. Er träumte, dass der Teufel zu ihm kam, er bat ihn um ein langes Leben, der Teufel fuhr zurück in die Hölle, nach kurzer Zeit ließ das Fieber nach.
Eines Morgens, Wochen später oder vielleicht auch Jahre, wachte er auf und erinnerte sich verschwommen an Karten, Wein und offene Messer. Viel wusste er nicht mehr von der Nacht zuvor, die Welt schien schmaler geworden, ein Stück fehlte, und als er an der Nase emportastete, in Richtung des Schmerzes, kam er dahinter, dass ein Auge fehlte. Kurz war er erschrocken, doch dann lachte er. Welch guter Zufall, dass ihm bloß das passiert war und nichts Schlimmeres, denn der Augen hatte man zwei. Ein Herz nur, einen Magen, eine Lunge, aber zwei Augen! Hart war das Leben, doch manchmal hatte man Glück.
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Geschäfte
S chon eine Zeitlang höre ich es schluchzen. Eben noch war es ein Geräusch in meinem Traum, aber jetzt ist der Traum vorbei, und das Schluchzen kommt von der Frau neben mir. Die Augen geschlossen, weiß ich, dass ich es bin, der weiß, dass die Stimme nun die von Laura ist oder eigentlich: dass es nun auf einmal die ganze Zeit schon ihre Stimme war. So heftig weint sie, dass die Matratze bebt. Ich liege reglos. Wie lange kann ich mich schlafend stellen? Ich würde so gern nachgeben und wieder versinken, aber es geht nicht. Der Tag hat angefangen. Ich öffne die Augen.
Morgensonne dringt durch die Schlitze der Jalousie und zeichnet dünne Linien auf Teppich und Wand. Das Teppichmuster ist symmetrisch, aber sieht man es zu lange an, fesselt es die Aufmerksamkeit, hakt sich fest und lässt einen nicht mehr los. Laura liegt in völliger Ruhe neben mir, atmet lautlos, schläft tief. Ich schlage die Decke zurück und stehe auf.
Während ich durch den Flur tappe, kehrt die Erinnerung an den Traum zurück. Kein Zweifel, es war Großmutter. Müde sah sie aus, abgekämpft und nicht ganz vollständig, als hätte nur ein Teil ihrer Seele es geschafft, bis zu mir vorzudringen. Schief stand sie vor mir, gestützt auf einen Krückstock, und in ihrem Haarknoten steckten zwei Kugelschreiber. Sie öffnete und schloss den Mund, mit den Händen machte sie Zeichen, etwas wollte sie mir unbedingt sagen. Unendlich müde sah sie aus, die Lippen gespitzt, die Augen flehend, bis im nächsten Moment irgendeine Traumverwandlung sie wegspülte und ich anderswo war, umgeben von anderem. Nie werde ich erfahren, was sie mir mitteilen wollte.
Ich rasiere mich, steige in die Dusche und drehe am Heißwasserhahn. Das Wasser ist warm,
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