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F (German Edition)

F (German Edition)

Titel: F (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kehlmann
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Laura erklären sollen? Siebeneinhalb Millionen. Das Haus gefiel ihr sofort. Maurische Fliesen auf der Terrasse, fünf Badezimmer, ein Medienraum. Was hätte ich tun sollen?
    Also bin ich eines Nachts hinaufgestiegen. Denn es ist möglich: Man kann dem Schrecken gegenübertreten, bis er nachgibt und sich zurückzieht. Fast drei Stunden habe ich ausgehalten. Der Tisch, die Schatten, die Lampe, ich. Und noch jemand.
    Dann bin ich gerannt. Die Treppen hinunter, durch die Halle, in den Garten. Am Himmel der Halbmond, umgeben von schillernden Nachtwolken. Wohl eine Stunde habe ich im Gras gelegen, und als ich zurück ins Bett geschlichen bin, ist Laura aufgewacht und hat mir von ihrem Traum erzählt, einem bunten Vogel, einem freundlichen Briefträger und einer Lokomotive. Und ich habe zur Decke hinaufgesehen und daran gedacht, dass es das Zimmer da oben geben wird, solange wir leben. Auch wenn wir nicht mehr hier wohnen, auch wenn hier längst andere sind, ist es noch da.
    Ich öffne die Haustür. Mein Gott, ist das heiß. Das Auto wartet mit laufendem Motor, Knut sitzt missmutig am Steuer. Er hasst das Warten. Ich weiß nicht, wieso einer wie er Chauffeur geworden ist. Außerdem ist mir ein Rätsel, warum er Knut heißt. Er ist Grieche und sieht auch so aus: Bartstoppeln, schwarze Haare, braune Haut. Auf einer langen Fahrt hat er mir einst die Geschichte seines Namens erzählt, ich habe nicht zugehört, und wenn ich jetzt noch einmal danach fragen würde, wäre er beleidigt. Ich steige ein, Knut fährt ohne Gruß los.
    Ich schließe die Augen. Schon höre ich ihn hupen.
    Er ruft: «Idiot!», und hupt wieder. «Haben Sie das gesehen, Chef?»
    Ich öffne die Augen. Die Straße ist völlig leer.
    «Einfach von links!», ruft er.
    «Unglaublich.»
    «Der Idiot!»
    Während er auf das Lenkrad klopft und schimpfend dahin und dorthin zeigt, frage ich mich zum tausendsten Mal, wie ich ihn loswerden soll. Leider weiß er zu viel über mich; ich bin sicher, dass er schon am Tag nach der Kündigung anonyme Briefe schreiben würde – an Laura, an die Polizei, was weiß ich, wer ihm noch einfiele. Die einzige Möglichkeit wäre ein diskreter Mord. Aber wollte ich tatsächlich jemanden töten, wüsste ich niemand anderen als ihn, den ich um Hilfe bitten könnte. Es ist verzwickt. Ich ziehe das Telefon hervor und betrachte die Kurse. Die Rohstoffpreise sind gefallen, der Euro hat sich gegenüber dem Dollar nicht erholt, und die überbewerteten IT-Papiere stehen genau dort, wo sie gestern standen. Ich begreife es nicht.
    «Heiß!», ruft Knut. «So heiß, so heiß!»
    Ich war überzeugt, die IT-Werte würden fallen. Andererseits habe ich kommen sehen, dass das nicht geschieht – nicht aus Einsicht in den Markt, sondern weil ich mich inzwischen daran gewöhnt habe, dass stets das Gegenteil von dem eintritt, was ich erwarte. Aber wem soll ich denn folgen: meiner Einschätzung oder dem Wissen, dass ich fast immer unrecht habe?
    «März, April!», ruft Knut. «Immer Regen. Mai – Regen. Immer! Und jetzt das!»
    Aber Verluste erschrecken mich nicht mehr. Hätten die Kurse sich entwickelt, wie ich es vorhergesagt habe, es hätte nichts verändert. Steigende Kurse retten mich nicht mehr. Nur ein Wunder könnte das.
    Das Telefon vibriert, auf dem Bildschirm steht: Kommst du heute?
    Jederzeit , tippe ich.
    Während ich auf die Sendetaste drücke, denke ich darüber nach, welche Ausrede ich gebrauchen könnte, falls sie schreibt, ich soll sofort kommen. Denn ich habe ja keine Zeit: Adolf Klüssen hat sich angemeldet, mein wichtigster Klient. Aber sie ist tagsüber ohnehin meist beschäftigt, und wenn sie schreibt, dass ich erst am Abend kommen soll, wird sie sich schuldig fühlen, und das ist hilfreich, darauf lässt sich aufbauen.
    Ich starre das Telefon an. Der Bildschirm starrt grau zurück. Keine Antwort.
    Und noch immer keine Antwort.
    Ich schließe die Augen und zähle langsam bis zehn. Knut redet, ich achte nicht darauf. Bei sieben verliere ich die Geduld, öffne die Augen und blicke auf den Schirm.
    Keine Antwort.
    Na gut, vergiss es. Ich brauche sie nicht, es geht mir besser ohne sie! Vielleicht ist es ja ihre Rache für letzten Sonntag.
    Wir trafen uns vor dem Eingang, es war ein Programmkino, gezeigt wurde Orson Welles’ letzter Film, sie wollte ihn unbedingt sehen, mich interessierte er nicht, aber das war mir egal, weil mich ja auch kein anderer Film interessiert hätte. In der Lobby roch es nach Bratfett, beim Schlangestehen

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