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F (German Edition)

F (German Edition)

Titel: F (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kehlmann
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kenne.»
    Sein Sohn, sagt er, habe gerade seinen MBA gemacht, und –
    «Adolf! Die Universität ist eine Sache, aber die Wirklichkeit …!» Was soll denn das, was mischt dieser Sohn sich ein! Ich schweige kurz, dann hole ich Luft und rede lange. Es kommt nicht darauf an, was ich sage, Klüssen versteht wenig und merkt sich noch weniger. Es kommt darauf an, dass gesprochen wird, ohne Unterbrechung und Zaudern, es kommt darauf an, dass er meine Stimme hört und einsieht, dass er es mit einer größeren Kraft zu tun hat als der seinen und mit einem Intellekt, dem er nicht gewachsen ist.
    Bald werde ich so vor Gericht sprechen müssen. Mein Anwalt wird mir raten, keine Aussage zu machen, das raten sie immer. Sie haben Angst, man verwickelt sich in Widersprüche, sie trauen einem nicht zu, mit dem Staatsanwalt fertigzuwerden, sie denken, man hat keine Überzeugungskraft. Womöglich werde ich mich dann von meinem Anwalt trennen müssen, was mitten im Verfahren einen schauderhaften Eindruck machen wird. Vielleicht ist es besser, ich verteidige mich gleich selbst. Aber Leute, die sich selbst verteidigen, hält man für Narren, ein respektabler Angeklagter muss auch einen teuren Verteidiger haben, einen pompösen, raumgreifenden Menschen. Daran führt kein Weg vorbei. Aber das Aussagen lasse ich mir nicht nehmen.
    «Wieso?», fragt Klüssen.
    «Bitte?»
    «Wo willst du aussagen?»
    Er sieht mich an, ich sehe ihn an. Es kann nicht sein, dass ich das laut gesagt habe, es muss ein Missverständnis sein. Also mache ich eine wegwerfende Handbewegung und spreche weiter: von Derivaten und Derivaten zweiter Ordnung, von unterbewerteten Immobilienfonds, von Risikostreuung und statistischer Arbitrage. Ich zitiere die Fachzeitschrift Econometrica , von der ich ein einziges Exemplar besitze, erwähne Spieltheorie und Nash-Gleichgewicht und unterlasse auch nicht die Andeutung, dass ich Verbindungen zu Leuten in Schlüsselpositionen unterhalte, die mir Insiderinformationen geben – am Rand der Legalität, aber sehr profitabel.
    Schließlich verstumme ich. Man muss einem Gegner die Möglichkeit geben, sich zu besinnen. Er muss zu sich kommen und begreifen können, dass er verloren hat. Ich falte die Hände, beuge mich vor und sehe ihm in die Augen. Er holt ein Taschentuch hervor und putzt sich umständlich die Nase.
    «Handschlag, Adolf!» Ich strecke die Hand aus. «Ein Mann, ein Wort, wir machen zusammen weiter. Ja?»
    Er sei verwirrt, sagt er.
    «Handschlag!»
    Er sei verwirrt.
    Mit meiner Linken fasse ich seinen rechten Arm und versuche, seine Hand in meine zu legen. Er widersteht. Ich ziehe, er widersteht weiterhin, er ist überraschend stark.
    Er müsse nachdenken, sagt er. Er werde mit seinem Sohn sprechen, er werde mir einen Brief schreiben.
    «Denk nur nach!», rufe ich mit belegter Stimme. «So lange du willst! Nachdenken ist wichtig.»
    Nun schütteln wir einander doch die Hände, aber nicht zur Besiegelung unserer Geschäftsbeziehung, sondern zum Abschied. Ich drücke so fest zu, dass alle Sonnenbräune aus seinem faltigen Gesicht weicht. Ich weiß, dass ich verloren habe. Er wird sein Geld zurückverlangen. Und er weiß, dass ich das weiß. Was er nicht weiß, ist, dass ich sein Geld nicht mehr habe.
    Für einen Moment kommt mir die Idee, ihn schnell umzubringen. Ich könnte ihn erwürgen oder ihm mit etwas Hartem den Schädel einschlagen. Aber dann? Wie schaffe ich die Leiche weg? Außerdem ist es wahrscheinlich, dass es auch in diesem Raum eine Kamera gibt. Müde lasse ich mich in den Sessel fallen. Ich stütze den Kopf in die Hände.
    Als ich aufsehe, ist Klüssen gegangen. Statt seiner ist ein hochgewachsener Mann im Zimmer. Er lehnt an der Wand und sieht mich an. Ich schließe die Augen und öffne sie wieder. Er ist noch da. Er hat eine hässliche Zahnlücke ganz vorne.
    Nicht gut, denke ich.
    «Nein», sagt der Mann. «Gar nicht gut.»
    Ich schließe die Augen.
    «Wird nicht helfen», sagt der Mann.
    Und tatsächlich, ich sehe ihn noch.
    «Misch dich nicht ein», sagt der Mann. «Geh einfach vorbei. Wenn du sie siehst, misch dich nicht ein. Lass es bleiben. Sprich die drei nicht an, geh weiter.»
    Mir ist schwindlig. Nicht einmischen? Weitergehen? Ich kann dem jetzt nicht nachforschen, ich muss mich um Klüssen kümmern. Ein paar Wochen kann ich es wohl hinauszögern, ich werde Klüssen in einen komplizierten Schriftverkehr verwickeln, werde nicht erreichbar sein und alles durch endlose Einwände und Fragen behindern.

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