F (German Edition)
ein wenig höher sein als das Gegenüber – ein alter Verhandlungstrick.
Er sei nicht mehr der Jüngste, sagt er. Er wolle nichts mehr riskieren.
«Riskieren?» Ich falte die Hände. «Beim Leben meines Vaters!» Händefalten ist hilfreich, es sieht ehrlich aus. Ganz falsch hingegen ist es, die Hand aufs Herz zu legen. «Wir haben nie etwas riskiert!»
Warren Buffett, sagt Klüssen, habe geraten, nie in etwas zu investieren, das man nicht verstehe.
«Aber ich verstehe es doch. Das ist mein Beruf, Adolf.» Ich stehe auf und trete ans Fenster, damit er mein Gesicht nicht sieht.
Vor ein paar Jahren war noch alles in Ordnung. Die Investitionen waren ertragreich, die Bilanzen passabel. Dann gab es einen Engpass in der Liquidität, und mir fiel auf, dass mich nichts daran hinderte, einfach zu behaupten, ich hätte Gewinne gemacht. Verkündet man Verluste, ziehen die Investoren ihr Geld ab, behauptet man einen Gewinn, bleibt alles beim Alten – man kann fortfahren, man gleicht den Verlust aus, niemand ist geschädigt, es sind nur Zahlen auf Papier. Also tat ich es, und nach ein paar Monaten war das Geld wieder da.
Aber ein Jahr später war ich in der gleichen Situation. Im schlechtesten Augenblick wollte mein zweitwichtigster Klient drei Millionen abheben. Ich hatte Positionen, die ich nicht ohne Verlust auflösen konnte, also wies ich falsche Gewinne aus, akquirierte dadurch neue Anleger und bestritt die Auszahlung mit deren Kapital. Ich war sicher, die Kurse würden sich schnell erholen und alles wieder in Ordnung bringen.
Doch dann fielen sie weiter. Mehr Anleger wollten Geld abziehen, und hätte ich nicht noch größere Bestände vom Kapital angegriffen, wäre alles aufgeflogen. Als die Kurse sich tatsächlich erholten, fehlte schon zu viel.
Aber ich hatte noch Hoffnung. Ich galt als erfolgreich, neue Anleger strömten mir zu, und ich verwendete ihr Geld, um die Rendite der alten Anleger zu bezahlen: zehn, zwölf, manchmal sogar fünfzehn Prozent, so viel, dass kaum einer auf die Idee kam, sein Kapital abzuziehen. Lange dachte ich, es werde sich plötzlich ein Ausweg auftun. Vor zwei Jahren dann, in einer Nacht endlosen Rechnens, begriff ich, dass das nicht geschehen konnte.
Argentinien oder Venezuela, Ecuador, Liberia, die Elfenbeinküste: neuer Pass, neuer Name, ein neues Leben. Ich hätte es tun sollen. Marie wäre vielleicht begeistert gewesen, Laura hätte auch anderswo Partys geben können. Das Wetter ist ohnehin überall besser als hier.
Aber dann war der Moment verstrichen. Ich war zu langsam gewesen, zu unentschlossen. Man braucht viel Geld, um mit Komfort zu verschwinden. Jetzt habe ich rein gar nichts mehr. Alles Kapital ist dahin, alle Kredite sind ausgeschöpft.
«Kennst du die Bhagavad Gita?», frage ich.
Klüssen starrt mich an. Damit hat er nicht gerechnet.
«Der Gott Krishna sagt zum Feldherrn Arjuna: Du wirst nie klären können, wieso alles so ist, wie es ist. Du kannst die Verstrickungen nicht auflösen. Aber du stehst hier, großer Krieger. Also frag nicht, steh auf und kämpfe.»
Ich habe das mal im Autoradio gehört. Das Zitat hat mir so gut gefallen, dass ich Else beauftragt habe, es nachzuschlagen.
«Na wo denn?», hat sie gefragt.
«In der Bhagavad Gita.»
«Wie soll ich es finden?»
«Indem Sie es lesen.»
«Das Ganze?»
«Nur bis zu dem Satz.»
«Und wenn er am Schluss steht?»
Sie hat ihn nicht gefunden, und ich zitiere aus dem Gedächtnis. Klüssen wird schon nicht nachschauen.
Er schweigt. Wie auch immer, sagt er dann. Er wolle sein Vermögen neu aufstellen.
«Adolf!» Ich schlage ihm so fest auf die Schulter, dass der Körper des Alten bebt. Für einen Moment verliere ich den Faden; das liegt wohl an seinen Augenbrauen. Bei so buschigen Brauen ist es kein Wunder, wenn man konfus wird. «Wir beide haben zusammen viel verdient. Und es wird mehr werden. Die Immobilienpreise steigen und steigen! Wer sich jetzt zurückzieht, wird es bedauern.»
Wie auch immer, wiederholt er und reibt sich die Schulter. Seine Frau, er und sein Sohn hätten gemeinsam beschlossen, die Assets neu zu streuen. Sein Sohn meine, das ganze System bewege sich auf einen Kollaps zu. Alle seien verschuldet. Kapital sei viel zu billig. Es könne nicht gutgehen.
«Assets streuen? Du weißt doch nicht mal, was das heißt !» Nein, jetzt bin ich zu weit gegangen. «Ich meine, natürlich weißt du das, aber es klingt nicht nach dir, das sind nicht deine Worte, das ist nicht der Adolf, den ich
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