F44.3 - In den Augen das Blut
nicht verkneifen. Mit demselben Lächeln drehte sich Sina zu ihr um. Sie hatte viel von ihrer Mutter, aber die Augen von ihrem Vater. Wunderschöne blaue Diamanten.
„Ich schreibe einen Wunschzettel“, antwortete sie und grinste noch breiter.
„Oh“, sagte Linda, „da wird sich der Weihnachtsmann sicher freuen. Von so einem tollen Kind einen Wunschzettel zu bekommen.“
Sinas Grinsen wurde schmaler. Sie schaute irritiert, um gleich darauf wieder in ihr Strahlen zu verfallen.
„Aber ich schreibe nicht an den Weihnachtsmann, Mama“, sagte sie.
Das war neu, dachte Linda und betrat das Zimmer.
„An wen schreibst du denn?“
Auch ihr Lächeln wurde nun schmaler, aber es kehrte in seiner Fülle nicht mehr zurück, sondern erstarb gänzlich, als ihre Tochter antwortete:
„An Satan, Mama. Ich schreibe einen Wunschzettel an Satan.“
Lindas Herz hüpfte unruhig. Hatte sie sich soeben verhört? Oder war das ein Scherz ihrer Tochter? Woher kannte sie dieses Wort? Nicht von ihren Eltern. Sie und Harald waren nicht gläubig und hatten noch nie von Gott oder dem Teufel gesprochen. Weder vor ihrer Tochter noch sonst wo. Der einzige Tag im Jahr, an dem sie eine Messe besuchten, war an Heilig Abend. Aber nur weil die Atmosphäre so schön war, nicht weil sie glaubten.
„An wen schreibst du?“, fragte Linda irritiert und hoffte, sich verhört zu haben. Sie setzte sich auf das Bett neben dem Schreibtisch und legte ihrer Tochter eine Hand auf den Oberschenkel.
„An Satan, Mama. Luisa hat gesagt, dass Satan viel mehr Wünsche erfüllen kann als der Weihnachtsmann. Und dass auch Satan was mit Weihnachten zu tun hat.“
Jetzt musste sie ihre Worte mit Bedacht wählen. Am liebsten hätte sie geschimpft. Aber das brachte doch nichts. Sina war noch ein kleines Kind, das fern von gut und böse war. Ganz gleich, wie intelligent. Sie wusste wahrscheinlich nicht einmal die Bedeutung des Wortes Satan. Für Sina war er nur ein anderes Wesen, das neben dem Weihnachtsmann existierte. Erschreckend.
„Luisa hat das gesagt?“
Sina nickte eifrig und ihr Gesicht strahlte weiter so unschuldig und voller Vorfreude, dass Linda ein bisschen schwindelig wurde.
„Hm hm. Luisas Eltern kennen ihn nämlich persönlich. Und sie haben Luisa versprochen, dass er all ihre Wünsche erfüllt. Auch die, die sonst nicht erfüllt werden.“
„Was sind denn das für Wünsche?“
„Ach, andere halt. Schneller laufen. Oder fliegen können. Luisa sagt, dass Satan sogar solche Wünsche erfüllen kann.“
„Das glaube ich nicht“, sagte Linda und fühlte sich unwohl bei dem Gedanken, dass ihre Tochter wirklich annahm, Satan existierte.
„Doch, Mama. Luisa hat es mir gezeigt. Sie hat sich letztes Jahr dunkleres Haar gewünscht. Und das ist in Erfüllung gegangen. Soll ich dir den Wunschzettel geben? Oder soll ich Luisas Eltern fragen, ob sie ihn an Satan weitergeben?“
Jetzt reichte es. Das Spiel dauerte schon lang genug. Linda wollte nicht, dass ihre Tochter einen Wunschzettel an Satan schrieb. Was für ein makabrer Scherz war das denn? Was hatten sich Luisas Eltern dabei gedacht, ihr Kind so zu verdrehen? Sie musste mit ihnen sprechen. Gleich heute Abend, wenn Harald nach Hause gekommen war, wollte sie mit ihm dahin. Wenn sie wirklich Satanisten waren, oder wie man sie nannte, dann konnte sie nicht alleine da hin.
Und woran dachte sie überhaupt? Sie hoffte wieder, sich verhört zu haben, aber das Gespräch mit ihrer Tochter hallte noch nach, als sie wieder in die Küche gegangen war und das Summen aus dem Kinderzimmer bestätigte, dass Sina weiter an ihrem Wunschzettel schrieb.
Harald war sofort damit einverstanden, bei den Müllers vorbeizuschauen. So hießen die Eltern von Luisa mit Nachnamen. Ein Allerweltsname für eine Familie, die anscheinend nicht ganz richtig im Kopf war. Das hatte Harald gesagt, als Linda ihm vom Wunschzettel an Satan erzählt hatte. Und er begriff es nicht als einen Scherz, sondern als eine Beleidigung an das Fest und an den Sinn, der dahinter steckte.
„Wir müssen sie zur Rede stellen“, sagte er und nicht viel später waren sie mit Sina aufgebrochen, um zum Haus der Müllers zu fahren. Denn die Müllers wohnten in einem Haus, in einem noblen Teil der Stadt, dort draußen bei Övelgönne, wo die gut Situierten ihren Stand hatten.
Sina freute sich über den abendlichen Ausflug und als Linda ihr berichtete, dass sie zu den Müllers fuhren, war ihre Freude umso größer.
„Kann ich dann mit Luisa
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