F44.3 - In den Augen das Blut
spielen, wenn wir da sind?“, hatte sie gefragt und dagegen hatten ihre Eltern keinen Einwand. Die Kinder sollten sowieso nicht mitkriegen, was die Erwachsenen zu besprechen hatten. Linda dachte auf dem Weg immer wieder, ein Wunschzettel an Satan war so lächerlich und erschreckend zugleich, dass es sich nur um einen bösen Scherz handeln konnte.
Als sie am Haus eintrafen, ein beeindruckendes Gebäude, das zwei Stockwerke und das Erdgeschoss umfasste und das von einem großen, gut gepflegten Garten umschlossen wurde, fühlte sich Linda auf einmal mutlos. Jemanden zur Rede zu stellen war nie ihre große Stärke gewesen und sie entschloss sich, Harald das Wort zu überlassen.
Sie parkten den Wagen vor den Treppen, die zur Haustür hinaufführten. Das Tor war geöffnet gewesen. Als hätten sie uns erwartet, dachte Linda, und schüttelte sogleich den Kopf über ihren wirren Gedanken.
Sie klingelten und eine weihnachtliche Melodie ertönte, Jingle Bells , und Linda fand wieder neuen Mut, dass es nur ein blöder Scherz gewesen war. An der Tür hing ein Kranz aus Tannen.
Frau Müller öffnete die Tür, Tanja, und sie lächelte den Eltern breit entgegen, als sie sie begrüßte. Kein Wort von Überraschung, nur ein Guten Abend . Dann beugte sie sich zu Sina hinunter und begrüßte sie mit einem leichten Händeschütteln.
„Wie schön, dass du gekommen bist“, sagte die Frau.
„Frau Müller“, sagte Harald, „wir müssen uns mal unterhalten.“
„Oh, wie unhöflich von mir. Kommen sie doch rein.“
Linda und ihr Mann betraten eine große Eingangshalle. Rechts neben einer Tür führte eine Treppe hinauf und vor ihr standen vier Kinder, die ihr fremd waren.
„Luisa ist oben“, sagte Frau Müller, „wenn du willst, kannst du zu ihr. Wenn deine Eltern nichts dagegen haben.“
Sina schaute bittend zu ihrer Mutter empor.
„Geh nur“, sagte Linda und fühlte sich sogleich unwohl dabei. Sie wollte nicht länger im Haus bleiben als nötig war. Und vor allem wollte sie nicht, dass ihre Tochter zu weit in die Räumlichkeiten vordrang. Aber was sollte sie tun? Wie eine schlechte Mutter Verbote aussprechen und unfreundlich sein? Nein, sie musste mitspielen. Erstmal.
Sina verschwand sogleich durch die Kinder die Treppe hinauf. Die vier machten ihr sogar Platz dafür und lächelten ihr alle gleichzeitig zu, wie abgesprochen. Und noch immer hatte keines von ihnen ein Wort gesagt.
„Wie unhöflich auch das“, sagte Frau Müller, „das sind vier unserer Kinder, die wir betreuen.“ Sie schritt zu ihnen und deutete einzeln auf sie. „Das sind Alexander, Miriam, Clara und Luka. Sie haben alle ihre Eltern verloren und da wir so viel Platz hier haben, geben wir ihnen vorübergehend ein neues Zuhause. Gerade zu Weihnachten sollte man generös sein, finden Sie nicht?“
Harald räusperte sich.
„Wegen Weihnachten“, sagte er, „darüber wollten wir mit Ihnen sprechen.“
„Ein schönes Fest, nicht wahr?“
„Ist ihr Mann auch da? Wir würden gerne mit Ihnen zusammen sprechen.“
„Ja, natürlich ist er da. Wir können ja schon mal ins Wohnzimmer gehen. Er kommt gleich hoch.“ Dann wandte sie sich an die Kinder an der Treppe. „Ihr könnt ja auch nach oben gehen und mit den anderen spielen. Wir sind hier bald fertig und dann gibt es Abendbrot.“
Wieso bald fertig ?, dachte Linda. Wir haben noch nicht einmal angefangen. Etwas gefiel ihr nicht an Frau Müllers Freundlichkeit. Das gesamte Haus sollte eine warme, freundliche Atmosphäre zaubern, aber Linda fühlte sich kalt. Innerlich fröstelte sie.
„Kommen Sie“, sagte Frau Müller und führte die beiden in einen Raum, der ebenso warm erscheinen sollte. Mit einem Kamin, in dem ein Feuer loderte, einer hohen Decke, an der ein silberner Kronleuchter hing, und mehreren Stoff-Sofas und Sessel, die allesamt so gemütlich wie teuer aussahen. Ein echter Perser-Teppich lag in der Mitte des Raumes, und der Wohnzimmertisch war aus dunklem Holz, das im Licht glänzte.
Sie setzten sich auf ein Sofa, auf das Frau Müller zeigte, und Linda war sofort warm und gemütlich.
„Darf ich Ihnen etwas anbieten? Wasser, Tee, einen Kaffee?“
„Kaffee wäre nicht schlecht“, sagte Harald und nickte. Er war wahrscheinlich schon müde von der Arbeit und wollte für das Gespräch wach sein. Linda bat um einen Tee und kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, ging die Tür neben dem Kamin auf und ein älterer Herr in einer Bediensteten-Uniform trat ein. Er trug ein Tablett und
Weitere Kostenlose Bücher