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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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der sich mittlerweile über gar nichts mehr wunderte.
    Livia zeigte ihm den Arm. »Sie hat es fortgenommen.«
    Colin berührte die weiche Haut. Die Wabe war verschwunden, wie sie es versprochen hatte.
    »Wo hast du den Wagen her?«
    Der grüne Rover, den er sich in Prestwick gemietet hatte, stand unten am Hafen.
    »Madame Redgrave sagte mir, dass er dort steht und dass die Schlüssel stecken.«
    »Sie ist wirklich sehr geheimnisvoll.«
    Livia lächelte. »Und sie hat nicht mal einen Führerschein.«
    »Wie du«, grinste er.
    »Ja, wie ich.«
    Sie stiegen ein, und dann fuhren sie los.
    »Was wird jetzt passieren?«, fragte sie unterwegs.
    Colin sagte es ihr.
    Sie folgten der A77, und als sie endlich an die Abzweigung kamen, die nach Ravenscraig führte, hielt Colin an. Beide stiegen sie aus. Drüben, auf der anderen Seite der Hügel, hinter den Wäldern, lag das große Haus. »Miss Robinson und Mr. Munro werden es erben«, sagte Colin,«so steht es in dem Testament.«
    »Du überlässt es ihnen?«
    Er nickte. »Ich will nicht mehr zurückschauen.«
    Ein lauwarmer Wind blies von der See her.
    »Lass uns fahren«, schlug er vor.
    Sie ließen die Abzweigung hinter sich und nahmen die Straße, die nach Black Head führte. Colin parkte den Rover neben der Kate, in der es nach den bunten Seifen roch und fernen Wundern, die erst noch entdeckt werden müssten.
    »Komm!« Colin schnappte sich Livias Fahrrad, und zu Fuß gingen sie zum Friedhof.
    Schweigend folgten sie dem schmalen Küstenweg, den sie so oft schon zuvor gegangen waren, manchmal auch allein. Als sie endlich den Galloway Graveyard erreichten, war es fast Mittag.
    Schatten ruhten sich zwischen Grabsteinen aus, und der Efeu wuchs wie Geschichten, die noch erzählt werden mussten, um die knorrigen Bäume, an deren Ästen nun kein einziges gelbes Band mehr hing. Auch das, wusste Colin jetzt, war nur ein Hinweis gewesen, um ihn auf die Fährte des kleinen Bruders zu führen.
    »Familie«, dachte er laut, »ist etwas Seltsames.«
    »Ich weiß.«
    »Nichts ist so, wie es scheint.«
    Sie setzten sich an den Grabstein, der ihnen mittlerweile wie ein Freund war, nach all den Jahren.
    Livia hatte ein Glas mitgebracht. »Manchmal ist es auch besser«, sagte sie.
    Dann öffnete sie das Glas und fischte eine Olive heraus, legte sie sich auf den Handrücken, schlug sich mit der anderen Hand auf den Unterarm, und dann, flink wie ein Fliegenfisch, schnappte sie nach der fliegenden Olive. »Eigentlich«, sagte sie, »ist es ganz einfach.«
    Er tat es ihr gleich.
    Beide mussten sie lachen.
    »Meine Mutter«, sagte Livia und sah ihm dabei tief in die Augen, »ist ein Geist.«
    Colin schaute sie lange an.
    »Deswegen bin ich so oft hier gewesen.«
    »Sie lebt auf dem Galloway Graveyard?«
    »Ja. Papa und sie haben sich während der Arbeit kennengelernt.«
    »Ist sie später gestorben?«
    »Sie war damals schon ein Geist.« Sie lächelte, zögerlich, und wartete seine Reaktion ab. Dann erklärte sie ihm, was ihre Mutter so machte und wie sich ihre Eltern ineinander verliebt hatten. »Manchmal«, sagte sie, »gibt es keinen einzigen Grund, nicht glücklich zu sein.«
    »Deswegen hast du gewusst, dass mein Vater noch lebt.«
    Sie nickte, »Ich habe sie gefragt. Aber sie hat ihn nicht gekannt.«
    »Und Arthur?«
    »Er hat versucht, mit dir zu reden, in deinem Traum. So fängt es an.«
    »Was?«
    »Das Geister-Verstehen.«
    »Hm,«
    »Er wird immer für sie da sein«, sagte sie.
    »Für Mary und Seiina?«
    Sie nickte, »Er wird sie nie verlassen. Niemals wird ihnen ein Leid geschehen. Er wird auf sie aufpassen, solange sie leben. Und dann, am Ende, werden sie ihn wiedersehen.«
    »Das ist ein schöner Gedanke.«
    »Es ist die Wahrheit. Mama hat gesagt, dass es so ist.«
    Colin schnappte sich eine Olive, ließ sie durch die Luft trudeln, dachte an den Tod, das Leben und die wahrhaftige Liebe. »Ja«, sagte er, als er die Olive geschnappt hatte, »es ist eigentlich ganz einfach.«
    Er stand auf.
    Livia folgte ihm.
    »Ich mache euch später miteinander bekannt«, sagte sie. »Um diese Uhrzeit ist Mama meistens noch unterwegs.«
    Colin fragte sie gar nicht erst, was sie damit meinte.
    Er dachte an sein London-Leben und an die Dinge, die er dort erledigen würde, an die dürftig befestigten Brücken, die hinter sich abzureißen ein Leichtes sein würde.
    Dann gingen sie zu dem Fahrrad, das alt und klapprig war, aber alles, was sie jetzt brauchten. Colin stieg auf, und Livia setzte sich vorn

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