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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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es nur fest packen und an Land ziehen, das war alles.
    Livia kniete sich neben ihn in den Sand. »Wir sind geflogen, Colin, du weißt, dass es so war.«
    »Ich weiß«, stammelte er, und die Stimme hörte sich in seinen Ohren an wie die eines Fremden.
    »Keine Ahnung, wie du das gemacht hast. Es war so schnell vorbei, und ich dachte, ich hätte mir das alles nur eingebildet. Du hast mir erzählt, wie schön das Fliegen sei, und dann sind wir über den Wolken geschwebt. Deine Hand hat meine gehalten, und so sind wir geflogen. Unter uns haben wir die Küste gesehen und Stranraer und die Leuchtfeuer von Corsewall Point.«
    »Und dann?«
    »Dann haben wir wieder unter dem Mistelzweig gestanden, einfach so, als sei nichts gewesen. Das war alles. Eigentlich habe ich all die Jahre nicht wirklich gewusst, ob ich es mir nicht doch nur eingebildet habe.«
    »Vielleicht hast du es dir nur eingebildet?«
    »Nein, habe ich nicht.« Jetzt wurde sie wütend. »Hör dich doch nur an. Genau das ist dein Problem. Du willst es nicht glauben. Du willst dich nicht erinnern. Aber du wirst diese Sache hier nur heil überstehen, wenn du dich erinnerst.« Sie packte ihn an den Schultern. »Du kannst genau das tun, was deine Mutter mit deinem Bruder und dir getan hat. Ich habe keine Ahnung, warum du das kannst. Aber darum geht es auch gar nicht. Du hast Angst davor, dass du sein könntest wie sie, wie Helen Darcy. Deswegen bist du nach London abgehauen, und deswegen machst du jetzt diesen Blödsinn mit diesen Modellen.«
    Colin atmete tief durch.
    Konnte das die Wahrheit sein?
    Er suchte in seinen Erinnerungen nach dem, was er gerade gehört hatte, aber er fand nichts. Nur ein leichtes Aufblitzen, das kaum ein Stern war, den man zur Linken liegen lassen musste auf seiner beschwerlichen langen Reise bis zum Morgengrauen.
    »Es ist so, wie ich es dir gesagt habe, Colin.«
    Ein Geruch wehte von weither.
    Regen, Kälte.
    Ein Mistelzweig.
    Wind, hoch oben am Himmel.
    »Wir sind geflogen, du und ich«, flüsterte er, und seine Stimme war nur ein Krächzen.
    Livia rückte dicht neben ihn. »Wir können es wieder tun«, sagte sie mit einem Lächeln in der Stimme.
    »Wir sind jetzt älter«, gab Colin zu bedenken.
    »Ende dreißig ist nicht alt«, sagte sie.
    »Als wir uns auf dem Friedhof getroffen haben, da war Ende dreißig für uns uralt.«
    Livia malte mit dem Finger runde Formen in den Sand. »Als wir uns damals begegnet sind, war deine Mutter ungefähr so alt, wie ich es jetzt bin, na ja, vielleicht ein wenig älter.« Sie betrachtete die Formen im Sand. »Wenn man es so sieht, dann kann man es schon mit der Angst zu tun bekommen.«
    Das Rauschen der See wurde lauter, doch vielleicht kam es Colin auch nur so vor. Livia saß ruhig neben ihm. Er betrachtete ihre nackten Füße, die sich in den Sand gegraben hatten.
    Dann klingelte das Mobiltelefon.
    Colin starrte es an. Ein klingelndes Mobiltelefon schien gar nicht an diesen Ort zu gehören.
    »Es klingelt.«
    »Ja«, grummelte er. »Schon wieder.«
    »Für gewöhnlich bedeutet das, dass jemand dich anruft«, sagte Livia.
    Erst da stellte Colin fest, dass er das Telefon zwar schon in der Hand hielt, aus reinem Instinkt, aber noch immer nicht die geringsten Anstalten machte, das Gespräch auch entgegenzunehmen.
    Er schüttelte das, was ihm an Gedanken zusetzte, ab und sagte: »Hallo.«
    Livia betrachtete ihn, während er schweigend demjenigen zuhörte, der ihn da anrief. Hin und wieder öffnete er kurz den Mund, weil er etwas sagen wollte, was er dann aber doch nicht sagte. Nach zwei Minuten war es vorbei, und Colin Darcy starrte das Telefon an, als besitze es die Antworten auf all die Fragen, die er sich stellte.
    »Wer war es? Dein London-Leben?«
    Colin schaltete das Telefon aus, hielt es fest in der Hand.
    »Alles okay?«
    »Das war Soozie Sutcliffe.« Er schien die Neuigkeiten erst verdauen zu müssen. »Sie hat besonderen Wert darauf gelegt, dass ihr Name Sutcliffe sei.«
    »Du hast nicht gerade viel gesagt.«
    »Sie hat geredet und geredet.« Und sie hat manchmal seltsame Wörter benutzt, dachte er, aber das tun Amerikaner eben. »Sie hat geschimpft, das trifft es besser. Dies sei, hat sie betont, unser erstes und gleichzeitig letztes Gespräch.« Er seufzte. »Um es auf den Punkt zu bringen: Danny hat wohl etwas mit einer anderen Frau gehabt. Das jedenfalls hat Soozie Sutcliffe gesagt. Scheißgroupies, so hat sie es formuliert, und das ist ein Zitat. Sie hat ihn andauernd zur Hölle

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