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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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sind, dann haben sie sich die Ladung geschnappt und alles andere, was sie brauchen konnten, auch. Diese Bullaugen haben wohl zu einem Schiff gehört, dessen Überreste jetzt irgendwo da draußen auf dem Meeresgrund liegen.«
    Das passte zur ihr.
    Irgendwie war Livia Lassandri noch immer das Friedhofsmädchen, dem er auf dem Galloway Graveyard begegnet war. Das zwischen den Grabsteinen gespielt hatte, als es ein Kind gewesen war.
    Als würde sie seine Gedanken erraten, ging sie zum Küchenschrank und holte ein Glas heraus. »Schau mal, ich kann's noch immer.« Die Olive sprang ihr in den Mund, als sei sie vorher darauf dressiert worden. »Seit ich dich kenne, gelingt es mir.«
    Colin lachte. »Du bist verrückt.«
    »Deswegen magst du mich doch so«, lautete ihre Antwort. Sie stellte das Glas zurück an den Platz, an den es gehörte, denn Ordnung musste, hin und wieder zumindest, sein.
    Dann balancierte sie ihren Tee über den Krimskrams am Boden und tänzelte auf das Sofa zu, wo sie dicht neben Colin Platz nahm. »Du weißt, warum du hier bist?«, fragte sie und schaute ihm in die Augen. Eine Antwort wollte sie gar keine hören. »Du bist hier, weil dies ein sicherer Ort ist. Die Welt da draußen kann auch draußen bleiben.«
    »Danke«, sagte er.
    »Wofür?«
    »Die Sache mit dem Telefon.«
    Sie grinste. »Es wird den Fischen gefallen. Es hat so schön geglitzert.«
    »Du wolltest mir von Rio Bravo erzählen.« Darauf, das wusste Colin, seit er über die Schwelle getreten war, lief es doch hinaus. Livia wollte ihm helfen, das Treibholz an Land zu ziehen.
    »Damals hast du mir davon erzählt. Damals auf dem Galloway Graveyard.«
    Damals, damals.
    So lange her war das wie tausendundein Jahr.
    Livia begann zu reden, und es war, als gebe sie Colin einen Stups, der ihn wieder zu dem fünfzehnjährigen Jungen werden ließ, mit einem einzigen Wimpernschlag.
    Die Zeit lief rückwärts, als sei es eine ihrer leichtesten Übungen.
    Wie schon viele Male zuvor, so trafen sie sich auch an diesem Tag bei den Grabsteinen.
    »Manchmal«, so begann er ihr zu erklären, »gehen Danny und ich fort.«
    »Wie meinst du das?«
    »Es gibt da einen Ort, den nur wir beide kennen.«
    »Ein Versteck?« »So ähnlich.«
    Sie saßen am Fuße eines Grabsteins, der über und über mit dichtem Efeu bewachsen war. Neben dem Grab wuchs eine mächtige Eiche, deren Äste sich schützend über all die Gräber in der näheren Umgebung spannten und zwischen deren Wurzeln die Toten sich womöglich trafen, um nicht allein sein zu müssen. Der Efeu griff vom Grabstein aus nach den Ästen, und so bildete sich an dieser Stelle ein Dach aus grünen Blättern, unter das Livia und Colin gekrochen waren. Es war ein weitaus besserer Platz als der drüben bei Doktor Witherspoon. Hier konnte man unbemerkt sitzen, und wenn es leicht regnete, dann erfüllte ein sanftes Rauschen die Blätter, aber kein einziger Tropfen drang durch das Dickicht hindurch.
    »Wir sind vor zwei Jahren zum ersten Mal dort gewesen.«
    Sie hörte ihm aufmerksam zu, sogar mit den Augen, diesen wunderschönen Augen.
    Und Colin spürte, wie gut es tat, über das alles zu reden.
    »Rio Bravo«, begann er, »ist ein Ort, der irgendwo in den Rhinns existiert.«
    »Den aber nur ihr beiden kennt.«
    Er nickte.
    Rio Bravo war ein Ort, ein durch und durch geheimer Platz, der irgendwo zwischen Portslogan und Ervie liegen mochte. Es gab einen See, ganz in der Nähe, und dieser See sah aus wie Lochnaw, nur irgendwie anders. Es gab einen langen Canyon, den sie nie betreten hatten, weil dort der Mond in den Mooren schimmerte. Es gab Rancher und Weiden, und alles war ihre geheime Welt.
    »Eigentlich hat es damit begonnen«, erklärte Colin, »dass wir den Film von Howard Hawks gesehen haben.«
    »Den Film mit John Wayne und Dean Martin.«
    »Du kennst ihn?«
    »Mein Vater mag Western. Aber er mag keine Filme, in denen Frauen eine größere Rolle spielen. Ich nehme an, das hat etwas mit meiner Mutter zu tun und damit, dass sie fort ist.« Sie zuckte die Achseln. »Frauen, sagt er, fallen in den meisten Filmen immer auf die Nase, schreien und stolpern in den unmöglichsten Situationen. Er findet, dass das nervt.«
    »Hm.«
    »Aber diesen Film mit John Wayne kenne ich. Papa mag John Wayne. Er sagt immer, das sei einer der allerletzten richtigen Männer gewesen. Scan Connery natürlich nicht mitgezählt.«
    »Wir haben den Film gesehen, als wir allein in Ravenscraig waren. Miss Robinson war da. Unsere Eltern

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